Im Gespräch

"Ich war ein schwieriges Mädchen". Helene Maimann im Gespräch mit Lotte Tobisch, ehemalige Schauspielerin und Opernballorganisatorin

Der umjubelte Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 in Österreich brachte die privilegierte Kindewelt von Lotte Tobisch zu Einsturz. Wenige Tage, nachdem die Wehrmacht über den Ring marschiert war, erschlug die Gestapo einen Neffen ihres jüdischen Stiefvaters Gustav Lederer. Lederer flüchtete in die Tschechoslowakei, sein Bruder wurde während des Novemberpogroms drangsaliert, auf den Straßen randalierte der Mob.

Die zwölfjährige Lotte sah vieles, hörte genau hin und lernte früh von ihrer Mutter einige unerlässliche Haltungen, um dem Regime die Stirn zu bieten, Kaltblütigkeit vor allem und Entschlossenheit. Beide ahnten, dass neben den unmittelbaren Kriegshandlungen noch etwas Grauenhaftes im Gange war. Das Verschwinden der Wiener Juden war nicht zu übersehen. Niemand konnte das übersehen. Das Schreckliche war, sagt Lotte Tobisch heute, dass man damals so leicht durch Niedertracht Karriere machen konnte, indem man andere vernichtete. Die Kriegsjahre waren ihre Lebensschule, prägten sie. Die Familie stand unter Beobachtung der Gestapo, aber das hinderte Lotte nicht daran, Verfolgten Hilfe zu leisten. Das junge Mädchen ging bald eigene Wege und setzte sich in den Kopf, Schauspielerin zu werden.

Im Gespräch mit Helene Maimann erinnert sich Lotte Tobisch an den März 1938 und die Jahre der NS-Diktatur. Und an ihren Lebensweg danach, der von der Literatur, vom Theater, von Begegnung mit Künstlern und Schriftstellern und von ihren zwei großen Lebenslieben geprägt war. "Wenn ich zurückblicke auf die Gratwanderung meines Lebens zwischen dem großbürgerlichen Ambiente, in das ich hineingeboren wurde, und meiner Missachtung all jener Konventionen, die diese Welt zusammenhält, dann empfinde ich ein Gefühl grenzenloser Dankbarkeit" sagt sie. "Dankbarkeit dafür, dass mich ein Schutzengel davor bewahrt hat, von diesem schmalen Weg abzustürzen." Lotte Tobisch feiert am 28. März ihren 87. Geburtstag.

Service

Theodor W. Adorno, Lotte Tobisch, "Der private Briefwechsel", herausgegeben von Bernhard Kraller und Heinz Steinert., Literaturverlag Droschl, Wien.

Lucian O. Meysels, "Die Welt der Lotte Tobisch", Edition Va Bene Wien

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