Gedanken für den Tag

von Luise Müller, evangelische Theologin. "Heute und vor 2.000 Jahren" - Gedanken zur christlichen Karwoche. Gestaltung: Alexandra Mantler

Es gibt den Punkt, wo alle Überlegungen, die Spiele der Gedanken zu Ende sind. Wo alles gesagt und getan worden ist, was zu sagen und zu tun war, wo das Unausweichliche herandrängt und das bisher Unmögliche die einzige Option ist. Widerstand scheint sinnlos zu sein, die Krise steuert auf ihren Höhepunkt zu. Das Bündnis aus Politik, Militär und Religion hat entschieden. Jesus von Nazareth hat nur noch ein paar Tage zu leben.

In Bethanien ist er zu einem Essen eingeladen. Worüber die Männerrunde gesprochen hat - wir wissen es nicht. Ob ihnen das Essen fast im Hals steckengeblieben ist angesichts der drohenden Katastrophe - wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass eine Frau deren Name im Markusevangelium nicht erwähnt wird, sich in die geschlossene Gesellschaft hineinschleicht und Jesus einen letzten Liebesbeweis zukommen lässt. Sie hat ein Fläschchen mit einem kostbaren parfümierten Öl und scheut sich nicht, den schon längst insgeheim zum Tod verurteilten Jesus wie einen König zu salben. Sie bricht die Phiole auf und streicht das Öl mit ihren Händen auf seinen Kopf, zärtlich, mitfühlend, intim.

Es gibt den Kairos. Und diese Frau hat ihn erkannt. Die Missbilligung der Tischgesellschaft ist mit Händen zu greifen. Und die Musterschüler Jesu sprechen es aus: "Muss man so verschwenderisch mit Geld umgehen? Hätte man damit nicht lieber etwas Diakonisches tun können?" Man schätzt den Wert des Öls immerhin auf das Jahresgehalt eines Arbeiters.

Es gibt den Punkt, wo alle Überlegungen, alle Spiele der Gedanken zu Ende sind. Wo alle Kämpfe gekämpft sind, alle politischen und religiösen Aktionen ihren Platz hatten und wo es nur noch um Liebe und Nähe geht. Die unbekannte Frau hat dies erfasst. Ihre Berührungen tun Jesus gut, diese Zärtlichkeit, die sie ihm schenkt ist offensichtlich genau das, was er jetzt braucht. Lasst sie, sagt er. Arme habt ihr immer bei euch, mich nicht. Und er ergänzt: wo immer das Evangelium auf dieser Welt erzählt werden wird, wird man auch davon erzählen, was sie getan hat.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Alessandro Marcello/1669 - 1747
Titel: Concerto in d-moll für Oboe, Streicher und B.c.
* Adagio - 2.Satz (00:04:20)
Ausführende: I Musici
Solist/Solistin: Heinz Holliger /Oboe
Länge: 02:00 min
Label: Philips 420189-2

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