Gedanken für den Tag

4. April 2013, 06:56

LXXVII (William Shakespeare, übersetzt von Karl Kraus)

Im Spiegel siehst du deine Schönheit fliehn,
die Uhr gibt kund die Flucht dir deiner Stunden.
Ist diesen Blättern erst dein Geist verliehn,
hast bald du selbst die Frucht davon gefunden.

Die Risse, die das Bild dir hält bereit,
sie mahnen dich: schon stehen Gräber offen;
der Zeiger: wie mit Diebesschritt die Zeit
bald in der Ewigkeit ist eingetroffen.

Was dein Gedächtnis dir nicht kann bewahren,
in diese Blätter sollst du es verschließen,
dass fremd gewordne Worte du nach Jahren
als deine Geisteskinder kannst begrüßen.

Begib dich oft ans Werk, es wird dir nützen,
vermehrend deine Früchte zu besitzen.

Das ist eines von Shakespeares Sonetten, in der Nachdichtung von Karl Kraus, dessen Geburtstag sich in diesem Monat zum 141. Mal jährt. Ein Aspekt der Kreativität, den ich selbst für sehr wichtig halte, ist, dass sie aus der "Flüchtigkeit" Bleibendes schafft. Durch ihre Anwendung und Ausübung hinterlasse ich etwas von mir uns, etwas ganz Persönliches, das mich ausmacht. Eine Essenz aus der ich Zeichen meines Da-Seins setze und Geschenke an die Mit- und Nachwelt! Kreativ sein verpflichtet. Wenn ich kreativ bin, habe ich meinen Lohn im Glück des Schaffens und sollte dann teilen, mitteilen, teilhaben lassen an dem Geschaffenen: Ob es nun ein Bild, Geschriebenes, Fabriziertes, Gesammeltes, was auch immer ist! Und Lebens-Erinnerungen haben wir alle. Sie sind kostbar und in Bezug auf die Vergänglichkeit etwas Großes, wenn wir sie aufschreiben, andere daran teilhaben lassen und sei es nur dass wir unserer Familie ein aufrichtiges Geschenk damit machen und die Freude am Leben fördern.

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