Radiokolleg - Friedrich Engels
Der Fabrikant, der den Marxismus erfand (4). Gestaltung: Günter Kaindlstorfer
18. April 2013, 09:30
Ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wird Friedrich Engels als origineller Kapitalismuskritiker wiederentdeckt.
Wer Marx sagt, muss auch Engels sagen. Dem 1820 geborenen Fabrikantensohn aus Wuppertal hat man im Verlauf des 20. Jahrhunderts viele Denkmäler gebaut: in Shanghai, Moskau und Berlin, in Dresden und Kalkutta. Jenseits realsozialistischer Heiligenverehrung war Friedrich Engels ein kraftvoller und originärer Denker, ein blendender Stilist und kreativer Philosoph, der bahnbrechende Schriften zur Dialektik von Natur und Gesellschaft, aber auch zu Fragen von Kolonialismus, Naturwissenschaft und Feminismus vorgelegt hat.
Nach dem Tod von Karl Marx war er es, der das Erbe seines Freundes verwaltet und als einflussreicher Organisator in die "Zweite Internationale" eingebracht hat. Im Grunde war Friedrich Engels es, der den "Marxismus" erst erfunden hat. Dabei war der lebenslustige Baumwoll-Magnat, der zwanzig Jahre lang eine Textilfabrik in Manchester geleitet hat, im Gegensatz zu asketischeren Vertretern der Arbeiterbewegung durchaus kein Verächter irdischer Genüsse. Der britische Historiker Tristram Hunt zeichnet Friedrich Engels in seiner neuen, erfrischenden Biographie als beschwingten Hedonisten, der die Freuden der Fuchsjagd ebenso zu schätzen wusste wie eine Schale Hummersalat oder eine fachgerecht dekantierte Flasche Château Margaux.
Friedrich Engels zeigte sich überzeugt, dass Marx ein "Genie" und er bloß ein "Talent" gewesen sei. Tristram Hunt und andere Zeitgenossen sehen das anders. Für sie war der viktorianische Baumwoll-Lord ein eigenständiger und bemerkenswert offener Denker, der die doktrinäre Interpretation seiner und Marxens Theorien im Leninismus und erst recht im Stalinismus radikal abgelehnt hätte.
Wenige Monate vor seinem Tod 1895 erklärte Engels dem Nationalökonomen Werner Sombart: "Die ganze Auffassungsweise von Marx ist keine Doktrin, sondern eine Methode. Sie gibt keine fertigen Dogmen, sondern Anhaltspunkte zu weiterer Untersuchung und die Methode FÜR diese Untersuchung." Immer wieder warnte Engels - der eng mit dem österreichischen Sozialdemokraten Viktor Adler befreundet war - davor, Marx' Theorien in das "starre Dogma einer rechtgläubigen Sekte zu verwandeln."
Und der Kapitalismus? Engels zählte, wie Karl Marx, zu den glühendsten Bewunderern und zugleich zu den schärfsten Kritikern der heute herrschenden Wirtschaftsweise. Der Mitverfasser des "Kommunistischen Manifests" hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus erst dann einem solidarischeren Wirtschaftssystem Platz machen könnte, wenn er zur globalen Kraft aufgestiegen sei. Eine Entwicklung, die gerade eben im Gange ist.
Service
Tristram Hunt: "Friedrich Engels - Der Mann, der den Marxismus erfand", aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, Propyläen-Verlag, 2012
Jonathan Sperber: "Karl Marx - Sein Leben und sein Jahrhundert", aus dem Englischen von Thomas Atzert, Friedrich Griese und Karl Heinz Siber, C. H. Beck, 2013
Viktor Adler und Friedrich Engels: "Briefwechsel", hrsg. von Gerd Callesen und Wolfgang Maderthaner, Akademie-Verlag, 2011
Helmut Hirsch: "Friedrich Engels", rororo-Monographie