Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant. Den Himmel suchen. Gestaltung: Alexandra Mantler

Über die Schriftstellerin Toni Morrison, die vor 20 Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt:

Wie kann man sich selbst annehmen, wenn man Schuld auf sich geladen hat, aber auch mit all den Wunden, die einem im Lauf des Lebens andere zugefügt haben? Diese Frage stellt die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison in ihren Romanen immer wieder.

Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen dabei die Sklaven. Bei ihnen stellt sich die Frage ganz besonders, wie man sich selbst annehmen und lieben kann. Denn obwohl sie nach dem amerikanischen Bürgerkrieg die Freiheit erlangten, zeigt sich: Mit Freiheit allein ist noch nicht viel Menschenleben gewonnen.

Gerade diese ehemaligen Sklaven treten ja - körperlich ebenso wie seelisch - völlig verstümmelt in diese nun angeblich so freie Welt. Sie wurden jahrelang nicht nur gefoltert, sondern auch von anderen gezählt und definiert, als Tiere, als Untermenschen. Das brennt sich in die Seele ein, und die Folter hinterlässt ihre Spuren auf den Leibern. Beides macht Narben, die nie verschwinden.

Nein, die Zeit heilt nicht alle Wunden.

Das gilt - wenn auch ungleich harmloser - für jedes Menschenleben. Jeder Mensch ist immer schon beschrieben, von den Vorfahren, von der Geschichte, von der Kultur, in der er lebt - und von seinen Schicksalen. Jeder Mensch trägt Vergangenheit, Verletzungen, Wunden, Fremdbestimmungen mit sich herum. Und braucht dennoch Zukunft.

Wie kann man Zukunft gewinnen? fragt Morrison in ihren Romanen.

Ihre Antwort: Man muss sich - und tut es noch so weh - der Vergangenheit stellen, das Erinnern zulassen, sie anderen erzählen. Man muss sich von anderen helfen lassen. Und man muss sich selbst vergeben und lieben.

"Sich zu befreien war eine Sache; von diesem befreiten Selbst Besitz zu ergreifen eine andere", heißt es im Roman "Menschenkind": "Du bist das Beste, was du hast, ... Du selbst bist es."

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Siegfried Schwab
Album: GUITARISTICS
Titel: Bluesy Lucy/instr.
Solist/Solistin: Siegfried Schwab /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Melomusik GS 702

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