Zwischenruf

von Superintendent Hermann Miklas (Graz)

Von Geistern und Ungeistern

Es gibt bekanntlich Geister und Ungeister.
Beide können recht ausdauernd sein.
Sie führen in der Regel ein Eigenleben, existieren unabhängig von konkreten Personen und Ereignissen, aber wenn sie einmal irgendwo "in der Luft liegen", dann können sie sich bald bestimmter Situationen regelrecht "bemächtigen":
- So flammt z.B. immer wieder einmal der Ungeist des Nationalismus auf.
- Oder der Ungeist des Antisemitismus
- wie zuletzt etwa in Ungarn.
- Umgekehrt erleben wir gelegentlich das Wunder, wie Menschen vom Geist der Versöhnung erfasst werden und einander - selbst über tiefe Gräben hinweg - wieder die Hand reichen.
- Oder dass Menschen, die bisher stets unbeirrt ihre Eigeninteressen verfolgt hatten, sich plötzlich vom Geist einer gemeinsamen Vision anstecken lassen und beginnen, am gleichen Strang zu ziehen ...

Nun, in all den genannten Fällen sind Geister und Ungeister ziemlich genau voneinander zu unterscheiden.
Nicht immer allerdings lassen sich Geister so klar zuordnen.
Ist Ihnen das auch schon einmal passiert?
Da kennt man jemanden bereits seit langer Zeit und hat ihn immer für einen ausgesprochen sympathischen Menschen gehalten.
Aber auf einmal legt er ein Verhalten an den Tag, das einen zutiefst befremdet.
Und irritiert fragt man sich: "Ist der denn plötzlich von allen guten Geistern verlassen?"
Oder vielleicht sogar: "Mensch, wes Geistes Kind bist du eigentlich?"

Um einen besonders interessanten Fall handelt es sich beim Zeitgeist.
Er hat stets sehr viele Anhänger - nur dass sie ihn in den seltensten Fällen als solchen erkennen.
Etwas als "zeitgeistig" zu etikettieren, ist meistens seinen Gegnern vorbehalten.
Auf jeden Fall gehört der Zeitgeist zur seltenen Species der "flüchtigen" Geister.
Wie ein altes Sprichwort so treffend sagt: "Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, kann schnell zur Witwe werden" - bzw. zum Witwer.
Aber ist es wirklich schon ausgemacht, dass der Zeitgeist prinzipiell negativ sein muss?

Viele Menschen unserer Tage frönen z.B. gerne dem Hedonismus.
Für die Vertreter traditioneller Wertvorstellungen zeigt sich hier der "Ungeist unserer Zeit" schlechthin:
Dass Leute hemmungslos den eigenen Spaß, das eigene Vergnügen und die Gier zu ihrem obersten Lebensprinzip erklären, das kann einfach nur teuflischen Ursprungs sein!
Wo bleibt da die Nächstenliebe? Das gesellschaftliche Engagement?
Der Dienst an der Gemeinschaft?

Doch schon Sören Kierkegaard, der dänische Philosoph und Theologe, urteilt hier wesentlich differenzierter
(Kierkegaard, der vor kurzem übrigens 200 Jahre alt geworden wäre).
In seinem frühen Hauptwerk "Entweder - Oder" stellt er einem leichtlebigen Don Juan
einen braven, biederen, Pflicht bewussten Gerichtsrat gegenüber.
Und kommt dabei zum Schluss, dass die reine Pflicht-Erfüllung
als oberstes Lebensprinzip auch nicht besser taugt.
Denn unter der Hand kann sie ebenfalls bald zum Ungeist werden, wie auch wir inzwischen nur allzu gut wissen.
Ja genereller noch:
Letztendlich muss wohl jede Geisteshaltung - zum "Prinzip" erhoben - beinahe zwangsläufig irgendwann ins Negative kippen.

Kierkegaard bleibt zum Glück nicht bei der Beschreibung dieses Dilemmas stehen, sondern er zeigt daraus auch einen bemerkenswerten Ausweg auf.
Es ist der Glaube, der für ihn noch einmal eine ganz neue Dimension ins Spiel bringt.
Und zwar der Glaube, der sich als lebendige Beziehung versteht - und nicht bloß als Gedankengebäude.
Der Außenblick der göttlichen Perspektive sozusagen verändert die Wahrnehmung.
Er kann helfen, die verschiedenen Geister und Ungeister dieser Welt ein bisschen besser voneinander zu unterscheiden und kritisch zu prüfen.
Denn: "Von guten Mächten wunderbar geborgen", brauchen wir es nicht mehr unbedingt, dass wir uns allen möglichen Modeströmungen kritiklos an den Hals werfen - wir brauchen umgekehrt aber auch keine übertriebene Angst vor ihnen zu haben.
Vielmehr können wir es uns leisten, zum jeweiligen Zeitgeist ein Stück weit auf emotionale Distanz zu gehen und über manches einfach zu schmunzeln, was uns so schrecklich ernst gegenüber tritt.
Liegt nicht gerade darin das Geheimnis von freien, mündigen und souveränen Menschen?

Phänomenologisch mag der Geist Gottes, der ja heute speziell im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht, ohne weiteres vergleichbar sein mit anderen Geistern, die wir kennen.
Sein besonderes Markenzeichen aber ist: Er ist ein durch und durch dialogischer Geist!
Er lässt uns Fragen stellen. Und er stellt uns in Frage.
Doch: Indem er uns immer wieder zurückbindet an Gott, den Schöpfer, und an das Evangelium von Jesus Christus, sprengt er die Fesseln von allzu fest gefügten Lebensmustern.
Und befreit uns damit aus so manchen schicksalhaften Abhängigkeiten.

Das wäre doch ein inspirierendes Pfingstfest 2013, wenn wir - erfüllt vom Heiligen Geist - entdecken, wie man das Leben durchaus genießen kann, ohne deshalb gleich dem Geist der Gier verfallen.

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