Zwischenruf

von Pfarrer Christoph Weist (Wien)

"Das Ranking" - Von der Gleichmacherei des christlichen Glaubens

Der "Vierziger" wurde also erreicht. Ich spreche nicht von einem Geburtstag, sondern von dem Hitzerekord von über 40 Grad im Schatten, der in den vergangenen Wochen in Zeitungsartikeln und von Wetterbericht-Präsentatoren so sehnsüchtig erwartet worden ist. Mir geht es nicht um die Gründe der zurückliegenden Hitzeperiode, das müssen Meteorologen beurteilen. Mir geht es darum, dass neben Universitäten, Gymnasien und ihren Schülerinnen und Schülern, Wirtschaftdaten in den EU-Regionen, Fußball-Nationalmannschaften und vielem mehr, womit sich Menschen beschäftigen, nun auch das Wetter einem "Ranking" unterzogen wird, einer Bewertung, deren Ziel Rekorde sind.

Und das macht mir Angst. Denn es ist ein - wenn auch harmloses - Zeichen für etwas gar nicht Harmloses. Wie ein Fluch legen sich solche Zählungen und Bewertungen über das ganze Leben. Kein Wunder, denn in Gesellschaft und Politik, ja auch im privaten Bereich hat das Wort "Leistung" einen Stellenwert erhalten, der Menschen buchstäblich einspannt und der ihm - ich spreche jetzt bewusst aus der Sicht eines evangelischen Theologen - ganz einfach nicht zukommt.

Wer sind denn die "Leistungsträger"? Gemeint sind wohl die, die "machen": zum Beispiel das Staatsgefüge, Produkte oder einfach nur Geld. Das Wetter haben sie derzeit noch nicht im Griff, auch wenn, wie gesagt, eine solche Sehnsucht offenbar besteht. Und wer sind die, die keine "Leistung" erbringen, erbringen können? Ich meine die, die krank im Bett liegen oder insgesamt auf Pflege angewiesen sind oder in jungem Alter von einem wackligen und unzureichenden Schulsystem abgeworfen wurden. Wie also könnte ein "Ranking" der gesellschaftlichen Werte aussehen? Wer ist oben, wer ist unten auf der Leiter? Wer verdient mehr Anerkennung, sprich Lohn, wer weniger, wer gar keinen?

Für den christlichen Glauben ist "Leistung", Leistung vor Gott, Leistung vor den Menschen, nicht erst seit der Reformation ein schwieriger Begriff. Das Wort Ranking kennt er gar nicht, und nicht nur, weil es neu ist. Christlicher Glaube versteht jedes Leben in radikaler Gleichmäßigkeit als von Gott ermöglicht, als geschenkt. Daraus bezieht es seinen unendlichen Wert und seine sehr weit gehenden Rechte, die mehr sind und tiefer gehen als sogar die allgemeinen Menschenrechte. Da kann nichts gezählt, gegeneinander aufgerechnet, abgewogen und in Wertungsreihen gegliedert werden, vielleicht sogar um Rekorde zu ermitteln. Ein Wort Jesu bringt es konkret auf den Punkt: "Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener." (Mk 9, 35). Damit ist jedes Ranking nicht nur auf den Kopf gestellt, es ist ausgehebelt.

Ich denke, darin liegt die ungeheure Sprengkraft des christlichen Glaubens. Ja, er ist "leistungsfeindlich", weil er die Geschöpfe Gottes nicht nach ihrer Leistung bemessen kann. Und ja, er ist "gleichmacherisch", weil Gott alle Menschen gleich geschaffen hat und ein Ranking unter ihnen nicht möglich ist. Daran sollte eine Gesellschaft nicht nur erinnert werden, es muss immer neu auch unerschrocken durchgesetzt werden. So kennt die vielberufene christliche Nächstenliebe nicht nur keine "Leistungsträger" und "Minderleister", sondern auch keine Werteskala zwischen nahen oder fernen Menschen, zwischen solchen, die Zuwendung mehr verdienen als andere, zwischen solchen, die im Lande bleiben und solchen, die sich schleichen können.

Für Christinnen und Christen gilt das. Und zwar an jedem Ort und in jeder Situation und zu jeder Zeit, wenn Menschen miteinander zu tun haben. Es gilt im Namen des Wanderpredigers aus Galiläa, der sich mit allen Leistungsträgern schwer getan und jedes Ranking auf den Müllhaufen der Unmenschlichkeit geworfen hat.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Philipp Telemann
Album: TELEMANN: CONCERTI PER OBOE
* Recitativo - 2.Satz (00:01:46)
Titel: Konzert für Oboe, Streicher und B.c. in f-moll
Oboenkonzert
Solist/Solistin: Heinz Holliger /Oboe
Ausführende: Academy of St.Martin in the Fields
Leitung: Iona Brown
Länge: 00:30 min
Label: Philips 4128792

weiteren Inhalt einblenden