Zeit-Ton

2. September 2013, 23:03

Wie das Übertragen einer Kultur von einer Epoche in die andere quasi unbeschadet gelingt, führt Salvatore Sciarrino selbst vor, indem er Topoi eben nicht eins zu eins transferiert, sondern ein musikalisch übernommenes historisches Element neu strukturiert, und so in ein heutiges umwandelt. Zum Beispiel einen barocken Vokalstil, dessen Eigenheit er einem im Detail völlig anderen kompositorischen Prozess einverleibt. Oder sich zum Ziel setzt, Vokalstimmen von der bloßen Imitation der Instrumente zu befreien, das ganze hier auch in umgekehrter Richtung, und abseits vom Virtuosentum, im übertragenen Sinne angenähert etwa an die Intimität langsamer Quartettsätze Beethovens. - Die kürzlich erschienene Kairos-CD, offenbar zur vollen Zufriedenheit des Komponisten eingespielt vom Quartetto Prometeo, macht das klanglich fassbar. Der Zeitrahmen ist weit gesteckt: Quartette zwischen 1967 und 2008. Die knappen Gestalten des kurzen Quartett No. 7 (1999) wirken geradezu kreatürlich beredt, irgendwann scheinen sie entfliehen zu wollen. Im umfangreichen Quartett No. 8 (2008) führen die Instrumente vermutlich ein feinsinniges Gespräch, ohne die Stimme sonderlich zu erheben, belebt von behutsamen Pointen. Sciarrinos Musik ist nie zäh, nie starr, der Streicherklang wird nie vergewaltigt, verquere Spieltechniken sind tabu. Die "sechs kurzen Streichquartette" entstanden innerhalb von 25 Jahren und erhellen Stationen der Entwicklung des Komponisten. Sie wirken nicht wie isolierte Miniaturen, aber auch nicht wie eine aus Kontrasten gebaute Fortsetzungsgeschichte. Das älteste dieser Stücke wirkt experimenteller, extremer, als die nachfolgenden, man begegnet der Liebe Sciarrinos zu hohen Lagen und Flageoletts, es gibt da auch bohrende, insistierende Passagen, und dann und wann dringen zarte Naturgeräusche in das Gewebe - eine Musik der Andeutungen und Ahnungen.

Sendereihe

• Sound Art: Zeit-Ton