Gedanken für den Tag

27. September 2013, 06:56

Walter Benjamin war auf der Flucht. 1933 von Berlin nach Paris, und dann ein neuerlicher Aufbruch. In aller Eile packt Benjamin seine Sachen. Nur wenig kann er mitnehmen. Anderes, was ihm besonders wichtig war, kommt in einen Koffer, den er bei einem Freund unterstellen konnte. Da schneidet er noch rasch ein Bild aus dem Rahmen und gibt es auch in diesen Koffer. Das Bild ist eine Bleistiftzeichnung des Schweizer Malers Paul Klee, die Walter Benjamin im Jahr 1921 erworben hatte. Es zeigt einen Engel. Paul Klee hatte eine Reihe von Engeln gemalt: Da gibt es zweifelnde Engel, unfertige Engel, hässliche Engel. Aber dieser Engel war neu und Klee gab ihm den lateinischen Namen Angelus Novus. Der Angelus Novus hing in Walter Benjamins Arbeitszimmer in Berlin und begleitete ihn auf der Flucht bis nach Paris. Jetzt aber konnte er nicht mehr mitkommen. Walter Benjamin hat in seinen geschichtsphilosophischen Überlegungen diesen Engel beschrieben:

"Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind weit aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Füße sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."

Walter Benjamin flieht im Sturm der damaligen Ereignisse bis an die spanische Grenze. Das Einreisevisum für die USA in der Tasche, muss er dennoch fürchten von den spanischen Behörden an die Deutschen ausgeliefert zu werden. In der Nacht vom 26. auf den 27. September stirbt er - wahrscheinlich durch Selbstmord.

Der Angelus Novus, der Engel der Geschichte, kehrte gern zurück, möchte verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Ich deute das als Ausdruck der Hoffnung.

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