Zwischenruf

Von Christine Hubka (Wien)

"Schauspiel vor Lampedusa"

Am Donnerstag, dem 3. Oktober 2013, ist ein Boot mit 500 Flüchtlingen vor der Insel Lampedusa gekentert. Einige Passagiere haben überlebt. Hunderte sind ertrunken. Dieses Ereignis wurde in der österreichischen Öffentlichkeit ein "Drama" genannt.

Drama ist ein alt-griechisches Wort. Es bedeutet Schauspiel mit verteilten Rollen. Solche sogenannten Dramen wiederholen sich in regelmäßigen Abständen. Wie am wirklichen Theater, wo ja auch dasselbe Stück öfter gespielt wird. Jeder Mitspielende weiß, was er sagen muss, wie er dreinschauen muss. Die Rollen sind so eindeutig verteilt, dass die Mitspielenden nie einen neuen Text lernen müssen. Auch die Kostüme bleiben immer gleich. Wer die Öffentlichkeit vertritt, legt in Gesicht und Körperhaltung das Kostüm der Betroffenheit an. Man gibt der Stimme einen dunklen, leidenden Klang, und rezitiert die vorgesehenen Worte, "unfassbar, tragisch, entsetzlich".

Die Zusehenden in diesem Schauspiel sitzen fußfrei in der ersten Reihe. Sie warnen, dass jetzt nicht angestiftet von irgendwelchen Gutmenschen, die Politik in Bezug auf Flüchtlinge aller Art verändert werden darf. Und zuletzt, wirklich zuletzt, sind da Menschen, die die Rolle der Opfer in dem Drama zugeteilt bekamen. Ihre Rolle, es ist keine Sprechrolle. Sie haben keinen Text zu lernen. Ihre einzige Aufgabe ist es, zu sterben. Sie sind ja die Opfer.

Wie das Wort Drama kommt auch das Wort Opfer aus einer antiken Sprache. Übersetzt heißt es "Darbringung". Es hat religiösen Ursprung. Die Opfer zu allen Zeiten und in allen Religionen mit Opferkult hatten nur einen Auftrag: Sie mussten sterben, um Glück, Reichtum, Wohlstand aller anderen zu garantieren. In den antiken Religionen, wurde ihr Leben den Göttern dargebracht. Man glaubte, dass nur durch den Tod dieser Opfer die Götter gnädig gestimmt wurden. Nur dann schauten Teutates und Co wohlwollend auf das Gemeinwesen. Nur wenn es Tote gab, gewährten sie ein Leben in Wohlstand und Frieden. In späteren Zeiten und fortschrittlicheren Gesellschaften kam man von Menschenopfern ab und tötete stattdessen Tiere.

Die Bibel, hier vor allem das Alte Testament, kritisiert jede Form von Menschenopfer unmissverständlich. Wer das Glück hat, ausreichend Kleidung, Nahrung und Unterkunft zu haben, hat die Verpflichtung, die Armen zu unterstützen. Das alttestamentliche Gesetz formuliert das so: Wenn du den Zehnten deines ganzen Ertrages zusammengebracht hast . so sollst du dem . Fremdling, dem Waisen und der Witwe geben, dass sie essen . und satt werden. Auch der Koran fordert das. Mir scheint, dass dieses Gebot, die Armen zu versorgen, in der islamischen Welt heute ernster genommen wird, als im sogenannten christlichen Abendland. Muslime geben so selbstverständlich den Zehnten für die Armen, wie andere Menschen Weihnachten feiern.

Bei alldem geht es nicht um Luxus. Es geht darum, dass alle Menschen das Recht haben, satt zu werden. Und genau das meint die Bibel, wenn sie mahnt: Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, . soll er bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst. (3. Mo 19,33-34) Lieben aber bedeutet hier wörtlich "willkommen heißen". Freilich kostet das Geld. Zu meiner Verwunderung beschwert sich aber niemand darüber, wie viel Geld nun für die Bergung des Wracks mit den vielen Toten vom Meeresgrund ausgegeben wird. Aus ähnlichen Fällen ist bekannt, wie teuer so etwas ist. Bis jetzt hat aber noch niemand die Rechnung angestellt, wie vielen Menschen man mit diesem Geld zu essen geben könnte.

Auch die antiken Opferrituale waren eine teure Angelegenheit. Niemand traute sich damals, die Kosten zu hinterfragen. Die Götter hätten das wohl übel genommen. So wird wohl an der Vorbereitung des nächsten Dramas bereits gearbeitet. Die Rollen bleiben weiterhin gleich verteilt. Die Kosten werden wieder enorm sein.

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