Gedanken für den Tag
Von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus" - Zum 200. Geburtstag von Georg Büchner. Gestaltung: Alexandra Mantler
16. Oktober 2013, 06:56
"Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen, es ist das nämliche Gefühl; wer am Meisten genießt, betet am Meisten." Diesen Satz formuliert Marion in Georg Büchners Drama "Dantons Tod" - er drückt nur bedingt Büchners eigene Überzeugung aus. Büchner experimentierte mit Weltanschauungen, er hing nie einer Doktrin an. Die große neue Biografie des Literaturwissenschaftlers und Theologen Hermann Kurzke mit dem Titel "Georg Büchner. Geschichte eines Genies" fragt auch nach dem Religiösen in Büchners Werk, das durchsetzt ist mit christlichen Anspielungen, Zitaten, Debatten und Textfragmenten. Kurzkes Resümee: "Christlich ist der Raum, in dem sich Büchner bewegt, nicht das Bekenntnis. ... Es war die Intensität des Fragens, was diesen Raum ausmachte, ein Leiden an der Unvollkommenheit der Welt und ein guter Wille; es war nicht irgendeine Orthodoxie von richtigen Sätzen." Einmal in der fast 600 Seiten dicken Biografie bringt Kurzke Büchners Dilemma so auf den Punkt: "Er war zu gescheit, um religiös zu sein, aber zu sehnsüchtig, um es nicht zu sein."
In einem Brief beschreibt Büchner die Wirkung beider offizieller Christentümer - er hatte als Protestant in Straßburg eine katholische Weihnachtsmette besucht: "Ich bin kein Katholik und kümmerte mich wenig um das Schellen und Knieen der buntscheckigen Pfaffen, aber der Gesang allein machte mehr Eindruck auf mich, als die faden, ewig wiederkehrenden Phrasen unserer meisten Geistlichen, die Jahr aus Jahr ein an jedem Weihnachtstag meist nichts Gescheidteres zu sagen wissen, als, der liebe Herrgott sei doch ein gescheidter Mann gewesen, dass er Christus gerade um diese Zeit auf die Welt habe kommen lassen."
Büchner hatte eine klare Distanz zu den Kirchen, aber er war religiös nicht unmusikalisch. Oder, um noch einmal Hermann Kurzkes Büchner-Biografie zu zitieren: "Eine wilde Urreligiosität bäumte sich manchmal in ihm und suchte nach Räumen, die nicht von kirchlichem Mobiliar zugestellt waren."
Service
Buch, Georg Büchner, "Sämtliche Werke und Briefe", Reclam Verlag
Buch, Georg Büchner, "Werke und Briefe", Verlag Lambert Schneider
Buch, Hermann Kurzke, "Georg Büchner. Geschichte eines Genies", Verlag C. H. Beck
Buch, Jan-Christoph Hauschild, "Georg Büchner. Verschwörung für die Gleichheit", Verlag Hoffmann & Campe
Buch, Michael Hofmann und Julian Kanning, "Georg Büchner. Epoche - Werk - Wirkung", Verlag C. H. Beck
Buch, Jan-Christoph Hauschild, "Georg Büchners Frauen", Deutscher Taschenbuchverlag
Buch, Barbara Neymeyr (Hg.), "Georg Büchner", Neue Wege der Forschung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Buch, Christian Milz, "Georg Büchner. Dichter, Spötter, Rätselsteller", Passagen Verlag
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Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Antonio Vivaldi/1678 - 1741
Titel: Sonate für Violoncello und B.c. Nr.5 in e-moll op.14 RV 40
* Allegro - 2.Satz (00:03:03)
Solist/Solistin: Christophe Coin /Violoncello
Solist/Solistin: Christopher Hogwood /Cembalo
Solist/Solistin: Ageet Zweistra /Violoncello
Solist/Solistin: Eugene Ferre /Barock - Gitarre
Solist/Solistin: Tom Finucane /Laute
Länge: 02:00 min
Label: L'Oiseau Lyre 4210602