Gedanken für den Tag

Von Hubert Gaisbauer, Publizist. "Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich" - Zum 75. Todestag von Ernst Barlach. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Barlach ist die Witterung des Kosmischen und der Schrecken davor", schrieb sein Dichterfreund Theodor Däubler in einem Essay, dessen letzte Zeile lautet: "Wir haben viel Schweres zu tragen, viel Schweres zu träumen. Alles das steht bei Barlach im Holz vor uns."

Ernst Barlachs Vater, der Landarzt, starb, als der Junge vierzehn Jahre alt war. Die Mutter, niemals müde, seine "tausend Ungebärden mit Geduld zu umhegen", wie er später dankbar schrieb, hatte angegriffene Nerven und wenig Sinn für Kunst. Sie ermöglichte ihm trotzdem Studien bei guten Lehrern in Hamburg und Dresden.

Schon als Kind lernte er - wie er es in seinen Erinnerungen nannte - ein "übermächtiges Gefaßtwerden" kennen: "An einem Abend", schreibt er, "widerfuhr mir eine Erschütterung, die im Augenblick durch mich ging und ganz sinn- und gegenstandslos war - und vielleicht doch das heftigste Erleben, das mir beschieden gewesen ist." Barlach wusste um Visionen, um das "Schauen", dem sich die "unbegreifliche Herrlichkeit im Geschehen" eröffnet, während es dem Sehen verborgen bleibt. Gerade dieses Schauen, gleich ob mit offenen oder mit geschlossenen Augen, ist vielen seiner Skulpturen eigen und verleiht ihnen eine unerklärliche Aura. Zum Beispiel das Wunder der neun Holzskulpturen, genannt "Fries der Lauschenden", zu sehen im Barlach-Haus in Hamburg im Jenisch-Park, ist diesem inneren Schauen ergeben, das sich ja ebenso im "Lauschen" ereignen kann.

In dem Romanfragment "Seespeck", geschrieben vor 100 Jahren, plädiert Barlach - dem Schauen und Lauschen zuliebe - für das "schlechte Gewissen": "Sollte", schreibt er, "ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sein? Meinetwegen, aber ein schlechtes Gewissen schläfert nicht ein, mit einem schlechten Gewissen fangen wir an, Hellhörer und Hellseher zu werden."

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Titel: Suite für Violoncello solo Nr. 6
* Gavotte
I: Jaap ter Linden
Länge: 02:00 min
Label: Brillant Classics 93102/13

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