Gedanken für den Tag
Von Mirja Kutzer, Germanistin und katholische Theologin. "November-Liebe". Gestaltung: Alexandra Mantler
16. November 2013, 06:56
Warten ist nicht gerade etwas, das wir gerne tun. Wer verbringt schon gerne Zeit damit, auf Zug oder Bus zu warten, oder darauf, dass der Kollege endlich seine Mittagspause beendet. Wir haben eine Menge an Strategien entwickelt, das Warten zu vermeiden. "Just in time" heißt das Zauberwort im Bereich der Wirtschaft. Im Alltagsleben bieten Smartphones eine Fülle an Möglichkeiten, Wartezeit totzuschlagen. Diese Strategien funktionieren allerdings kaum mehr, wenn ich auf das Einzige warte, was meinem Lieben Sinn gibt und von dem ich überdies nicht weiß, ob und wann es eintrifft.
Im 13. Jahrhundert hat Mechthild von Magdeburg das Warten zur Kür erhoben. Mechthild gehört zu den frühen deutschsprachigen Mystikerinnen. Ihre Schriften handeln von einer Liebesbeziehung mit Gott, die sie in vielen erotischen Bildern auskleidet. An ihrem Höhepunkt vereint sich die liebende Seele mit dem himmlischen Bräutigam. Es geschieht eine Erfüllung, für die es keinen Ausdruck mehr gibt. Freilich: So groß der Genuss ist, so unermesslich ist auch der Schmerz danach. Auf die Vereinigung folgt die Trennung. Der Geliebte, um den sich das ganze Leben dreht, ist weg. Ob und wann er wiederkommt, weiß die Liebende nicht. Dieses Warten ist ein Extremfall. Es ist ein Zustand, der die Liebende zu zerstören droht.
Mechthild findet einen Ausweg. Sie liebt quasi in einem neuen Modus: Sie erkennt an, dass ihr der Geliebte fehlt. Gleichzeitig will sie ihn aber nicht mehr besitzen. Sie will nun warten. Dadurch wird Mechthild in neuer Weise selbstständig und frei. Sie wendet sich den Menschen ihrer Umgebung zu, insbesondere den Bedürftigen - den Armen, Kranken und Sündern. Was sie selbst an Liebe erfahren hat, will sie weitergeben. Warten zu können, den Mangel auszuhalten, wird für Mechthild zur Voraussetzung, in dieser Welt leben zu können.
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Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Anonym/16.Jhd.
Gesamttitel: VILLANCICOS & ENSALADAS
Titel: Danza alta / instrumental
Ausführende: La Capella Reial de Catalunya
Leitung: Jordi Savall
Länge: 02:00 min
Label: Astree E 8723