Gedanken für den Tag
Von Vladimir Vertlib, Schriftsteller. "Der Blick zurück, um nach vorne schauen zu können". Gestaltung: Alexandra Mantler
25. November 2013, 06:56
Zum Thema "Erinnern" schreibt die Schriftstellerin Lydia Mischkulnig: "Erinnern ist eine komplizierte Geschichte, weil das Erinnern wie von allein passiert und nie abschließt, außer mit dem Tod und nicht einmal dann. Ein Augenblick der tiefen Berührung genügt, die einen wie der Blitz trifft, wenn uns Hören, Sehen, Schmecken, Riechen vergehen, und nie mehr kommen wir vom Gesehenen, Gedachten, Gefühlten, Gerochenen los, das sich verbindet mit dem Ereignis, also dem Punkt, wo die Welt uns traf, einholte."
Es fällt auf, dass Mischkulnig Erinnerung mit dem Riechen in Verbindung bringt. In meiner Muttersprache Russisch haben für mich Worte tatsächlich einen Geruch, einen Erinnerungsgeruch: Allein das russische Wort "sugróby" - Schneewehen - lässt die olfaktorische Aura meiner Geburtsstadt Leningrad, heute St. Petersburg, entstehen.
Wenn Schnee fällt, egal, an welchem Ort, erlebe ich diesen "Augenblick der tiefen Berührung". Schnee riecht an jedem Ort anders. Doch das Wort "sugróby", an das ich bei jedem Schneefall denken muss, verbindet mich mit Augenblicken aus meiner frühesten Kindheit, Impressionen aus einer Welt mit Kommunalwohnungen und Plattenbauten, mit einer damals noch nicht fernen, in den Köpfen der Menschen ständig gegenwärtigen Vergangenheit des Stalinterrors und des Krieges, mit Familiengeschichten, die so grauenvoll waren, dass sie mir schlaflose Nächte bereiteten, mir aber später helfen sollten, meine eigenen Gefühle und mein Verhalten besser zu verstehen. Meine Eltern und ich verließen Russland, als ich fünf Jahre alt war. Für Erinnerungsgerüche jedoch hat es niemals Grenzen gegeben.
"Das Verdrängen ist auch eine Option", schreibt Mischkulnig, "aber wohin führt es? In eine Lethargie und Demenz. Das ist die pure Langeweile und nützt nichts; nichts wird besser..."
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Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Alexander Glasunow/1865-1936
Komponist/Komponistin: Nikolai Artcibuscheff/1858-1937
Komponist/Komponistin: Alexander Scriabin/1872-1915
Komponist/Komponistin: Anatoli Ljadow/1855-1914
Komponist/Komponistin: Nikolai Rimsky-Korssakoff/1844-1908
Komponist/Komponistin: Nikolai Sokolow/1859-1922
Komponist/Komponistin: Joseph Wihtol/1863-1948
Komponist/Komponistin: Felix Blumenfeld/1863-1931
Komponist/Komponistin: Victor Ewald/1860-1935
Komponist/Komponistin: Alexander Winkler/1865-1935
Bearbeiter/Bearbeiterin: Kuss Quartett
Album: THÈME RUSSE - DAS KUSS QUARTETT SPIELT RUSSISCHE WERKE
* 4. Variation III (Glasunow) : Andantino (00:01:25)
Titel: Variationen über ein russisches Volkslied für Streichquartett
Ausführende: Kuss Quartett
Ausführender/Ausführende: Jana Kuss /Violine
Ausführender/Ausführende: Oliver Wille /Violine
Ausführender/Ausführende: William Coleman /Viola
Ausführender/Ausführende: Mikayel Hakhnazaryan /Violoncello
Länge: 02:00 min
Label: Onyx 4090