Salzburger Nachtstudio

"1913 - Am Vorabend der "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts
Gestaltung: Johannes Kaup

Ein Jahr bevor der 1.Weltkrieg, die "Urkatastrophe" des 20.Jahrhunderts, ausbrechen sollte, schien - oberflächlich besehen - die Welt noch in Ordnung. Doch das Jahr 1913 wird später für eine Epoche stehen, in der unsere Moderne begann. In allen Gesellschaftsbereichen ereignen sich Brüche, die das kommende neue ankündigen. In der Literatur werden von Franz Kafka, über Marcel Proust bis James Joyce die Extreme ausgereizt. Malewitsch malt sein erstes schwarzes Quadrat auf weißem Grund, das zur "Ikone der Moderne" wird. Das "enfant terrible" der Gegenwartskunst, Egon Schiele, wird von Gustav Klimt in den Bund österreichischer Künstler aufgenommen. Adolf Loos baute gegenüber der Wiener Hofburg sein erstes ornamentloses Wohnhaus. Sigmund Freud schreibt mit "Totem und Tabu" ein Buch über "Völkerpsychologie". Igor Strawinsky komponiert mit dem Frühlingsopfer - "Le Sacré du Printemps" - den aggressiven Soundtrack zur stattfindenden kulturellen Revolution. Am politischen Horizont brauen sich aber schon dunkle Wolken zusammen. Im Vielvölkerstaat der 52 Millionen Bürger zählenden österreichisch-ungarischen Monarchie brodelt es bereits. Im Osten wenden sich die nichtungarischen Völker gegen die "Magyarisierungspolitik" der ungarischen Machthaber. Im Süden, in Bosnien-Hercegowina,, wächst der Widerstand gegen die Okkupationspolitik der Habsburgermonarchie. Die 2-Millionen-Metropole Wien war 1913 das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum Mitteleuropas. Ohne sich zu kennen, leben zur selben Zeit hier Persönlichkeiten, die einige Jahre später das Schicksal Europas entscheidend prägen werden. Jussif Dschugaschwili - später unter dem Namen Stalin gefürchtet - wohnt bei einer russischen Aristokratenfamilie in Wien-Meidling. Im Cafe Zentral frühstückt Lew Dawidowitsch Bronstein - alias Leo Trotzki - der Gründer der Roten Armee. Ein Postkartenmaler aus Braunau/Inn verkauft selbst gezeichnete Postkartenmotive der Stadt, und schläft im Obdachlosenheim Meldemannstrasse in Wien-Brigittenau. Sein Name: Adolf Hitler.
Das Jahr 1913 wird zum Sinnbild einer Epoche radikaler historischer Brüche und zum Vorabend der sogenannten "Urkatastrophe" des 20.Jahrhunderts, eines Weltkrieges, der in seiner Brutalität alle bisherigen Konflikte in den Schatten stellen soll.

Service

Phillip BLOM, Der taumelnde Kontinent. Europa 1900 - 1914, Carl Hanser verlag München
Manfried RAUCHENTSTEINER, Der erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie; Böhlau Verlag Wien
Edgard HAIDER, Wien 1914: Alltag am Rande des Abgrunds, Böhlau Verlag Wien
Hans MAGENSCHAB, Der Große Krieg: Österreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Tyrolia Verlag Innsbruck
Lutz MUSNER, Der Geschmack von Wien. Kultur und Habitus einer Stadt, Campus Verlag
Wolfgang MADERTHANER/Lutz MUSNER, Die Anarchie der Vorstadt: Das andere Wien um 1900, Campus verlag
Florian ILLIES, 1913. Der Sommer des Jahrhunderts, S.Fischer Verlag Frankfurt

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