Gedanken für den Tag

Von Vladimir Vertlib, Schriftsteller. "Der Blick zurück, um nach vorne schauen zu können". Gestaltung: Alexandra Mantler

Erinnern wir uns: Es gab eine Zeit, als es für Eltern selbstverständlich war, dass es ihre Kinder besser haben würden als sie selbst. Es gab auch die Zeit, als die Hälfte der städtischen Bevölkerung in Substandardwohnungen - mit Wasser und Klo am Gang - zu Hause war, und trotzdem sicher sein konnte, niemals auf der Straße zu landen. Fern ist die Zeit noch nicht, da eine gute Ausbildung einen sicheren Arbeitsplatz garantierte, so bescheiden der Wohlstand auch war, den man damit oft nur erreichen konnte.

Ich erinnere mich auch, wie ich als Ökonomiestudent in den 1980er Jahren in Wien immer wieder Gleichaltrigen begegnete, die das alles gar nicht gut fanden. Sie wollten so genannten Sozialschmarotzern an den Kragen, wollten die Steuern senken, den Staat enteignen und die Wirtschaft befreien. Damals war der Neoliberalismus noch jung - so wie diese Leute. Neoliberal zu sein, war "cool" oder, wie man damals noch sagte, "klass" und "super". Ich aber dachte: Gott schütze uns vor meiner Generation. Wehe, wenn sie auf die Chefetagen losgelassen!

Heute sind sie dort, und wir sind reich. So reich, dass die Reichen immer reicher werden und sich immer sicherer fühlen, während den sozial Schwachen nahe gelegt wird, die Gesetzmäßigkeiten des weltweiten Marktes zu begreifen und demzufolge den Gürtel enger zu schnallen. Irgendwann ist der Gürtel so eng, dass für die eigenen Kinder kein Platz mehr bleibt.

Doch die Gesetzmäßigkeiten des Marktes gelten nur dann, wenn alle daran glauben. Alles ist wahr und alles ist Fiktion; wer die Fäden in der Hand hält, erklärt dies zum Naturgesetz. Der Blick zurück zeigt oft, was heute oder morgen möglich wäre. Er ist hilfreich, um nach vorne schauen zu können.
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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Michail Iwanowitsch Glinka/1804 - 1857
Album: RUSSISCHE KOSTBARKEITEN
* Andante - 2.Satz attacca (00:05:47)
Titel: Gran sestetto originale in Es-Dur für Klavier und Streicher
Sextett
Solist/Solistin: Alexander Nasedkin /Klavier
Ausführende: Schostakowitsch Quartett
Solist/Solistin: Rustem Gabdullin /Kontrabaß
Ausführender/Ausführende: Andrej Shishlin /Violine
Ausführender/Ausführende: Sergej Pishugin /Violine
Ausführender/Ausführende: Alexander Galkowsky /Viola
Ausführender/Ausführende: Alexander Kortschagin /Violoncello
Länge: 02:00 min
Label: Multisonic 3101822

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