Gedanken für den Tag

14. Jänner 2014, 06:56

Der Mensch Etty

Der Mensch, die Frau Etty Hillesum, die als Jüdin von den Nazis im Alter von 29 Jahren ermordet wird, berührt mich gerade in ihrer Menschlichkeit. Sie ist ein Mensch, der sich voll und ganz einlässt auf dieses irdische Leben, alle Höhen und Tiefen des Lebens auslebt, so dass ihr Hausarzt einmal, auf Grund ihrer angegriffenen Gesundheit, meinte: "Etty, du lebst zu intensiv."

Sie ist eine Frau, die alles beobachtet, tief ergründet und begründet, offen und schonungslos ihre Gedanken und Gefühle in ihrem Tagebuch beschreibt. Sie fühlt sich zur Schriftstellerin berufen und ringt doch lange mit ihren Zweifeln und Hemmungen, ihre innersten Gefühle und Regungen so offen allen darzulegen.

Sie ist eine Frau voller Hingabe und Liebe - sie liebt den jüdischen Chiropsychologen Julius Spier, in ihrem Tagebuch einfach S genannt, ihren Therapeuten, Seelenführer und Katalysator ihres Entwicklungsweges. Sie liebt ihn nicht nur platonisch und seelisch, sondern erotisch sexuell - mit ganzer Hingabe. Und sie liebt Han Wegerif, ihren väterlichen Hausherrn, ebenso. Sie selbst kann es kaum fassen und doch stimmt dieser auch gesellschaftlich unkonventionelle Weg für sie. Gerade durch diese durch und durch körperliche Liebe gelangt sie zu einer umfassenden Menschenliebe, die eine einzelne Person gar nicht ausfüllen kann, wie sie schreibt.

Etty Hillesum kennt auch Niedergeschlagenheit und Verzweiflung, sie erlebt die Schwäche ihres Körpers und ihrer Seele. Sie kennt die Stimmungsschwankungen von Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt. In allem erlebt sie, immer öfter und immer schneller eine Aufrichtung, die sie nur auf die göttliche Quelle in ihr und auf die Kraft des Gebetes zurückführen kann.

Bei keiner anderen Mystikerin, bei keinem anderen Mystiker erlebe ich so klar und so anziehend, dass ein tiefer spiritueller Höhenweg und eine mystische Liebe und Erfahrung nicht nur für ein paar auserwählte Seelen gelten, sondern jedem Menschen zugänglich und gangbar sind, eben in seinem ihm je eigenen Fassungsvermögen.

Service

Buch, J. G. Gaarlandt, "Das denkende Herz. Die Tagebücher der Etty Hillesum. 1941 - 1943", Verlag rororo

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