Gedanken für den Tag

von Adi Völkl, Priester und Theologe. "Das denkende Herz" - Zum 100. Geburtstag der jüdischen Mystikerin und Autorin Etty Hillesum. Gestaltung: Alexandra Mantler

Die Mitte

"Ich ruhe in mir selbst, und dieses Selbst, in dem ich ruhe, das Allertiefste und Allerreichste in mir, nenne ich der Einfachheit halber Gott." Das schrieb Etty Hillesum, die heute 100 Jahre alt geworden wäre, in ihr Tagebuch. Tatsächlich wurde sie als Jüdin 1943 mit 29 Jahren von den Nazis in Auschwitz ermordet.

Etty Hillesum verschloss vor dem herannahenden Unheil nicht die Augen. Sie lebt und erlebt intensiv ihren Entwicklungsweg, den sie Tag für Tag beschreibt. Ohne verbittert zu werden oder zu resignieren.

"Ich ruhe in mir selbst", so fasst Etty Hillesum ihr Lebensgefühl zusammen, in einer Zeit, in der in Amsterdam die Nazis jeden Tag neue Gesetze und Verbote erließen, die das Leben der Juden immer mehr einschränkten und aufreiben sollten. Dieses Lebensgefühl ist durch nichts und niemanden zu zerstören, keine noch so sadistischen Nadelstiche können ihr das nehmen, damit kann sie sich, trotz aller äußeren Bedrängnisse, immer wieder verbinden.

"Und dieses Selbst, in dem ich ruhe", fährt Etty fort.

Dieses Selbst ist größer als das Ego, das nie zur Ruhe kommt, dessen tiefe Sehnsucht nie mit materiellen Reichtümern gestillt werden kann. Dieses Selbst ist in seinem innersten Kern gut, vollkommen und heil und nicht wie das Ego, das ständig nur die eigenen Mängel sieht. Eben das Allertiefste und Allerreichste, wie Etty es nennt.

"Und das nenne ich der Einfachheit halber Gott", schreibt sie. Mich beeindruckt diese Behutsamkeit, die Weite und gleichzeitig die Eindeutigkeit im Umgang mit dem Namen Gott in einer Zeit, in der besonders Juden das Wort Gott vielfach wohl nur mehr als Hohn empfinden konnten. Immer wieder sehne auch ich mich nach so einem unzerstörbaren Lebensgefühl ganz tief in mir drinnen.

Service

Buch, J. G. Gaarlandt, "Das denkende Herz. Die Tagebücher der Etty Hillesum. 1941 - 1943", Verlag rororo

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Robert Schumann/1810 - 1856
Titel: Märchenbilder op.113 - für Viola und Klavier
* Nr.1 Nicht schnell - in d-moll (00:03:39)
Solist/Solistin: Yuri Bashmet /Viola
Solist/Solistin: Michail Muntian /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: RCA Victor RD 60112

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