Zwischenruf

von Gisela Ebmer (Wien)

Schule: Getrennt oder gemeinsam?

Quer durch alle Parteien geht noch immer die Diskussion über die gemeinsame Schule für alle 6 - 14-Jährigen.

"Was würden die Haifische machen, wenn sie Menschen wären", diese Überlegungen des Schriftstellers Bert Brecht kommen mir da in den Sinn. Die Haifische wären gut zu den kleinen Fischen. Sie würden große Kästen im Meer bauen, wo sie für die kleinen Fische sorgen. "Es gäbe natürlich auch Schulen in den großen Kästen. In diesen Schulen würden die Fischlein lernen, wie man in den Rachen der Haifische schwimmt." Die Haifische erzählen ihnen nämlich, dass sie für eine schöne Zukunft sorgen. "Man würde den Fischlein beibringen, dass diese Zukunft nur gesichert sei, wenn sie Gehorsam lernten.

Übrigens - fährt Brecht fort - würde es auch aufhören, dass alle Fischlein, wie es jetzt ist, gleich sind. Einige von ihnen würden Ämter bekommen und über die anderen gesetzt werden. Die ein wenig größeren dürften sogar die kleineren fressen. Dies wäre für die Haifische nur angenehm, da sie dann selber öfter größere Brocken zu fressen bekämen."

Ich denke hier weiter, wo Bert Brecht endet: Da gibt es möglicherweise Fischlein, die sich schwerer tun mit dem Gehorsam Lernen als andere. Soll man für diese noch extra Schulen bauen in anderen Kästen, damit sie besser gefördert werden können? Soll es auch für die hochbegabten Fischlein eine spezielle Schule geben, wo sie noch bessere Strategien lernen, wie man am schnellsten in die Mäuler der Haifische kommt? Sie werden vielleicht in ihrem Lernen gehindert durch die langsameren Fischlein. Ja, die Haifische würden wahrscheinlich profitieren von einer getrennten Ausbildung der kleinen Fischlein.

Ganz anders aber sieht dies der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther: "Nun aber gibt es viele Glieder, aber nur einen Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht, auch nicht der Kopf zu den Füßen: Ich brauche euch nicht... Gott hat unseren Leib so zusammengefügt, dass er dem, was benachteiligt ist, besondere Ehre zukommen lässt, damit es im Leib nicht zu einem Zwiespalt komme, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander besorgt seien. Leidet nun ein Glied, so leiden alle Glieder mit und wird ein Glied gewürdigt, so freuen sich alle Glieder mit".

Vielleicht ist der Unterschied dieser beiden Geschichten genau der Schlüssel zum Streit über die Gesamtschule: Wie sehen wir die Zukunft für unsere Kinder: Geht es um unsere Angst vor dem System des Fressens und Gefressen Werdens? Dann wird wohl jeder darauf achten, dass seine Kinder später einmal zu den Fressern gehören und nicht zu jenen, die gefressen werden. Dann werden alle versuchen, ihre Kinder in Eliteschulen zu bringen, damit sie ja keinen Nachteil haben, indem sie sich mit jenen auseinandersetzen müssen, die von vornherein auf der Seite jener sind, die einmal gefressen werden. Denn Bildung ist derzeit keine Frage der Intelligenz, sondern eine Frage der Herkunft. Die Kinder von armen Familien sind kaum im Gymnasium zu finden.

Oder geht es uns wie dem Apostel Paulus darum, dass die Talente aller Kinder gefördert werden, dass Menschen durch ihre Verschiedenheit einander bereichern und sehr viel voneinander lernen können. Nicht nur Mathematik oder eine Fremdsprache, sondern auch, wie man mit anderen umgeht, die nicht so sind wie ich, wie man Unterschiede zum Positiven nützen kann: Unterschiede zwischen Buben und Mädchen, zwischen Großen und Kleinen, zwischen Armen und Reichen, zwischen jenen, die gut auswendig lernen und anderen, die erfinderisch sind, zwischen jenen, die sich lieber zurückziehen und jenen, die immer im Mittelpunkt stehen wollen, zwischen den Lauten und Leisen, zwischen den Schwachen und Starken. Zwischen jenen, die verschiedene Sprachen sprechen oder verschiedene Religionen und Bräuche leben. Zwischen jenen, die geborgen in einer Familie aufwachsen und jenen, die kein sicheres Zuhause haben.

Wenn Kinder lernen, mit Unterschieden zu leben, dann lernen sie auch zusammenzuhalten, und dann haben die großen Haifische keine Chance mehr, sie zu fressen. Denn die Kinder schwimmen nicht mehr automatisch zu ihnen hin. Sie haben gelernt, selbstständig zu denken, ihr eigenes Leben zu leben, einander zu helfen, füreinander da zu sein. Sie brauchen keine Haifische mehr für den Sinn ihres Lebens.

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