Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Kunstwissenschaftlerin und Direktorin des Wiener Dommuseums. "Provokateur und Mystiker" - Zum 25. Todestag von Salvador Dali. Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein athletischer Christus hängt am Kreuz. Er bestimmt das gesamte Bildgeschehen unter ihm in Form einer Bucht mit spiegelglattem Meer, Booten und Fischern. Kein ungewöhnliches Thema. Im Gegenteil: Die Darstellung des Gekreuzigten ist eines der meist gemalten Motive der Kunstgeschichte. Dieser Gekreuzigte ist aber anders als alle anderen. Nicht weil die Technik oder die Formensprache so innovativ sind. Vielmehr ist es die unkonventionelle Perspektive, die verstört. Denn Christus wird hier aus der Vogelperspektive in radikaler Verkürzung am Kreuz dargestellt. Als Betrachterin schaut man dem Gekreuzigten quasi von oben auf den Kopf. Vom Himmel aus? Oder gar vom Weltall? Sein Gesicht ist durch die extreme Draufsicht nicht zu sehen. Auch Nägel und Wunden sind nicht zu erkennen.

Salvador Dalí hat dieses Bild im Jahr 1951 gemalt. Es entstand im Zuge seiner Hinwendung zur christlichen Ikonografie, zur Spiritualität, zur Mystik. Dies unterstreicht auch der Titel. Er lautet "Der Christus des heiligen Johannes vom Kreuz" - und bezieht sich damit auf den spanischen Mystiker Juan de la Cruz aus dem 16. Jahrhundert.

Diese Kreuzigungsdarstellung sorgte nach ihrer Fertigstellung für hitzige Debatten. Für die einen war das Bild zu religiös, zu plakativ, zu wenig zeitgemäß. Für die anderen verletzte es religiöse Gefühle. Der Künstler setzte sich zur Wehr und meinte: "Einer der ersten Einwände gegen diese Gemälde bezog sich auf die Haltung des Christus, das heißt auf den Blickwinkel und die Vorwärtsneigung des Kopfes. Dieser Einwand aus religiöser Sicht geht in die Irre, und zwar deswegen, weil mein Gemälde von der Zeichnung beeinflusst ist, die der heilige Johannes vom Kreuz selbst von der Kreuzigung angefertigt hat".

Heute wird Dalís Gekreuzigter längst als eine der bemerkenswertesten Interpretationen dieses Themas in der Kunst des 20. Jahrhunderts gesehen. Denn Dalí hat durch die unkonventionelle Perspektive sichtbar gemacht, dass die Blickwinkel sich stets mit den Errungenschaften einer Zeit wandeln und wandeln müssen. Dies betrifft Kunst, Gesellschaft und auch Religion.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Isaac Albeniz/1860 - 1909
Album: DER GLANZ SPANIENS / Vol.7
Gesamttitel: BERÜHMTE SPANISCHE TÄNZE / ROMEROS
Titel: Rumores de la caleta - Nr.6 aus dem Zyklus "Recuerdos de viaje"/ "Reiseerinnerungen" op.71 / Bearbeitung für 2 Gitarren
Solist/Solistin: Pepe Romero /Gitarre
Solist/Solistin: Celin Romero /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Philips 4328272

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