Gedanken für den Tag

von Julya Rabinowich, Schriftstellerin. "Hinter Masken". Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein Karneval ist eine kurze Zeitspanne Rausch und Tabulosigkeit. Eine offiziell erlaubte Eintrittskarte zum räumlich begrenzten Exzess. Doch was einmal reizvoll und verboten war, ist nun seit geraumer Zeit Alltag und überbordende Belästigung, ja Langeweile.

Die Rede ist von öffentlich abgefeierter Erotik, oder dem, was daraus geworden ist: eine gewisse nervöse Überflutung mit angeblich Anziehendem. Wen interessiert das Geheimnis einer Frau, wenn man verfolgt wird, überschüttet, gelangweilt mit fotografisch und gynäkologisch einwandfreien Aufnahmen bis in den Uterus hinein? Ganz im Gegenteil, die ehemaligen Tabuzonen springen einen aus jeder dritten Werbung an, der Busen ist öffentliche Spielwiese geworden, die Enthüllung ist keine Ausnahme mehr, sondern geradezu Pflicht.

Was aber Pflicht ist, ist gewiss nicht mehr reizvoll und schon gar nicht mehr spielerisch. Das Gesicht hinter Fächer und Maske aber könnte alles sein: bekannt und unbekannt. Abweisend oder einladend. Die Erotik ergibt sich aus dem, was man eben nicht sicher weiß, wovon man nicht mit Gewissheit behaupten kann: das gehört mir, das kenne ich, das ist mir versprochen. Natürlich ist auch ein Flirt ein Versprechen, gewiss. Aber niemals ist ein Flirt ein bindendes Versprechen. Ein Flirt ist angedeutete Entblößung, alles andere wäre ein exhibitionistischer Anfall. Dort, wo man sich erst vorsichtig vortasten muss, ist ein anderes Erfahren des Gegenübers möglich. Eine Begegnung in der Verhüllung ist aber ebenso eine Möglichkeit, an der Annäherung zu scheitern. Es ist also nicht nur Lust an der Freude und am Risiko gefragt, sondern auch die Bereitschaft, theoretisch scheitern zu können und sich damit sogar noch vorläufig bedeckt dennoch eine Blöße zu geben: das zu wagen ist aber eine Frage von Großmut.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Richard Strauss/1864 - 1949
Album: Die schönsten Walzer aus Oper und Ballett
Titel: Walzerfolge aus der Oper "Der Rosenkavalier" 3.Akt
Orchester: Berliner Philharmoniker
Leitung: Karl Böhm
Länge: 02:00 min
Label: DG 4237802

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