Gedanken für den Tag

von Hubert Gaisbauer, Publizist und Kunstexperte. "Nicht Meißeln und nicht Malen verschafft Seelenfrieden" - Zum 450. Todestag von Michelangelo Buonarroti. Gestaltung: Alexandra Mantler

Die erste erhaltene Bildhauerarbeit Michelangelos entstand im Atelier des Hofes von Lorenzo de' Medici, dem Prächtigen, der einen guten Blick für zukünftige Genies hatte. Es ist die "Madonna auf der Treppe", das Marmorrelief des Sechzehnjährigen, es befindet sich heute in der Casa Buonarroti in Florenz. Man sieht, wie das Kind die Mutterbrust sucht, doch der Blick der Mutter geht in eine unbestimmte Ferne. Ähnlich hat man in der Antike den Abschied von geliebten Menschen auf Grabsteinen dargestellt, ernst und schön.

Michelangelos Mutter war gestorben, als der Knabe sechs Jahre alt war. Später, mit neunundachtzig, meißelt Michelangelo - noch vier Tage vor seinem Tod - an der letzten Skulptur, der Pieta Rondanini. Sie blieb unvollendet, war von Grund auf misslungen und ist dennoch ein zutiefst berührendes Werk. Man kann erkennen, wie in der ursprünglich beabsichtigten Fassung Mutter und Sohn einander nicht zugewandt sind. Michelangelo hat beide Gesichter abgeschlagen und eine neue Fassung konnte er nur andeuten, nicht mehr vollenden. So bleibt das Antlitz des Christus augenlos, mundlos. Aber die Mutter wendet jetzt sich dem Sohn wieder zu.

Die letzte Erkenntnis eines Lebens, das geprägt war vom kompromisslosen Wollen zur vollendeten Kunst, fasst Michelangelo in sein einundsechzigstes Sonett:
"Nicht Meißeln und nicht Malen / verschaffen Seelenfrieden, / sondern die Liebe, / die am Kreuz die Arme öffnet..."

Am Nachmittag des 18. Februar 1564 lässt sich Michelangelo noch einmal die Leidensgeschichte Jesu vorlesen. Dann liegt der Schöpfer des "Moses" und des "Jüngsten Gerichts", des "Davids" und der Kuppel von Sankt Peter in Rom als Leichnam, so klein, dass man ihn für ein Kind hätte halten können.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Anonimo
Titel: Pavana "La Morte della Ragione"
Ausführende: Accademia strumentale italiana, Leitung: Alberto Rasi
Länge: 02:00 min
Label: Stradivarius STR 33396

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