Gedanken für den Tag

8. März 2014, 06:56

Es geschieht mitten in einer Veranstaltung, plötzlich heult eine Sirene auf, im Gebäude ist ein Brand ausgebrochen. Es muss evakuiert werden. Rundum bricht Hektik aus. Ehe ich irgendetwas unternehmen kann, bin ich allein. Niemand außer mir ist da. Ich wurde einfach vergessen. Was für eine schreckliche Vorstellung.

Ola Abu Al Ghaib lebt in Ramallah. Sie war 14 Jahre alt, als man in ihrem Gehirn einen Tumor entdeckte. Sie wurde operiert, aber ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen. Ola ist eine starke Frau und hatte offensichtlich immer schon Durchsetzungsvermögen. Nach ihrer Operation wollte sie ihre Schule wegen ihrer Behinderung nicht mehr aufnehmen. Es dauerte Jahre, bis sie endlich wieder die Schule besuchen und studieren konnte.

An der Universität in Bethlehem ist dann der vorhin beschriebene Vorfall passiert. Ola saß plötzlich allein in einem Gebäude, das aufgrund eines Alarms geräumt worden war. Ihre Studienkollegen und -kolleginnen bemerkten erst außerhalb des Gebäudes, dass sie Ola vergessen hatten. Sie durften aber nicht mehr zurück. Wie sollte sie reagieren? Mit verzweifeltem Rückzug - weil sie (wieder einmal) übersehen wurde? Mit wütenden Anklagen - gegenüber ihrer Umwelt? Ola hat sich dafür entschieden, am nächsten Tag den Rektor ihrer Universität aufzusuchen. Sie wies ihn darauf hin, dass in den Evakuierungsplänen der Universität Menschen mit Behinderung nicht mit bedacht worden waren und forderte ihn dazu auf, diesen Missstand aufzuheben, was dann auch geschah.

Mich hat beeindruckt, welchen Unterschied es macht, wenn jemand in emotionsgeladenen Situation klar und zielgerichtet handelt. Am heutigen Weltfrauentag erinnert Ola mich an die Stärke der Frauen. Sie hat die Zukunft im Blick und eröffnet Handlungsmöglichkeiten, für sich, für andere, für eine Gemeinschaft, in der alle wahrgenommen werden.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler