Im Gespräch

"Ich habe nichts gegen einen gepflegten Mord". Renata Schmidtkunz spricht mit der Schriftstellerin Ingrid Noll

237.000 Besucher und Besucherinnen, 2.200 Aussteller aus 42 Ländern, die sich präsentierten, 3200 Veranstaltungen innerhalb von 4 Tagen an 410 Leseorten: das sind die Zahlen zur Leipziger Buchmesse 2014, die am vergangenen Sonntag zu Ende gegangen ist. Ganz Leipzig ein einziges Lesefest, an dem dutzende Schriftsteller und Schriftstellerinnen sich ihrem Publikum lesend und redend zur Verfügung gestellt haben. Unter ihnen eine 78-jährige Dame, die genauso freundlich und harmlos aussieht wie ihre Romane bösartig und abgründig sind: Ingrid Noll, geboren 1935 in Shanghai, verheiratet, Mutter dreier erwachsener Kinder und Großmutter von 4 Enkeln. Und eine der erfolgreichsten Krimi-Autorinnen des deutschsprachigen Raumes.
Ihre ersten Schreibversuche machte sie schon im Kindesalter. Texte, die sie schüchtern vor den Augen der Eltern und der 3 Geschwister versteckte. Damals lebte die Familie in China. Die Eltern waren Ende der 1920-er Jahre von Deutschland ins Reich der Mitte gegangen. Aus Abenteuerlust, und weil der Vater dort als Arzt arbeiten wollte. 1949, kurz vor der Gründung der kommunistischen Volksrepublik China, verließ die Familie das Land Richtung Deutschland. Ingrid Noll erlebte - auch durch den Tod des Vaters - eine schwierige Kindheit, heiratete früh, wurde Mutter und half ihrem Mann in der Arztpraxis. Eine gutbürgerliche Frauenexistenz im Deutschland der 1960-er und 70-er Jahre. Als die Kinder dann aus dem Haus waren, kam die Feststellung, dass das nicht alles gewesen sein konnte. Und so wandte sich Ingrid Noll wieder der Leidenschaft ihrer Kindheit und Jugend zu: dem Schreiben. 1991 erschien "Der Hahn ist tot." Ein Kriminalroman: eine 52-jährige biedere Versicherungsangestellte namens Rosemarie Hirte wird von den Pfeilen Amors getroffen. Um den Mann ihrer Träume zu bekommen, geht sie über Leichen. Seither sind 12 Romane erschienen, zuletzt zu Beginn dieses Jahres "Hab und Gier". Das besondere an Ingrid Nolls Geschichten ist, dass weder Polizei noch Justiz mitspielen. Die Mörderinnen - denn es sind IMMER Frauen, die morden - bleiben unentdeckt, unbestraft, unbehelligt, leben einfach weiter, verwirklichen ihre Träume und Wünsche durch Mord. Meine Frage, ob das denn moralisch vertretbar sei, beantwortet eine verschmitzt lächelnde Ingrid Noll mit den Worten: "Manchmal bestrafe ich meine Mörderinnen, in dem ich ihnen ein schlechtes Gewissen umhänge!"
In einem kuscheligen, zum Tonstudio umgebauten Wohnwagen des Mitteldeutschen Rundfunks MDR haben wir am Rande der Leipziger Buchmesse 2014 das nun folgende Gespräch geführt.

Service

Ingrid Noll, "Der Hahn ist tot", Diogenes-Verlag Zürich 1991
Ingrid Noll, "Die Häupter meiner Lieben", Diogenes-Verlag Zürich 1993
Ingrid Noll, "Die Apothekerin", Diogenes-Verlag Zürich 1994
Ingrid Noll, "Kalt ist der Abendhauch", Diogenes-Verlag Zürich 1996
Ingrid Noll, "Röslein rot", Diogenes-Verlag Zürich 1998
Ingrid Noll, "Ladylike", 2006
Ingrid Noll, "Über Bord", auch als Hörbuch erhältlich, Diogenes-Verlag Zürich 2012
Ingrid Noll, "Hab und Gier", Diogenes-Verlag Zürich 2014

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