Gedanken für den Tag

von Ulrich Reinthaller, Schauspieler, Dialogprozessbegleiter und Intendant des Dialogfestivals "Dialogikum Phönixberg". "Ich weiß, dass ich nicht alles weiß" - Dialog als Kunst, gemeinsam zu denken. Gestaltung: Alexandra Mantler

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Es muss ein großer Schmerz gewesen sein, der Rainer Maria Rilke zu diesen Zeilen drängte. "Ihr bringt mir alle die Dinge um", so traurig endet sein Gedicht. Ich kann dieses Leiden verstehen. Denn auch ich leide, da, wo Worte kurz und knapp und allzu klar Position beziehen. Ich fürchte mich vor jenen, deren Worte sich mächtig gebärden und kein Schlupfloch mehr lassen für Unsicherheiten und Bange, unfertige Fragen.

Hätte Rilke Grund gehabt, sich auch vor dem Wort "Dialog" zu fürchten? Ich selbst habe dieses Wort lieb gewonnen, auch wenn es mich schmerzt, wie unscharf seine Bedeutung behandelt wird, wenn man "Dialog" als Synonym für Diskussion, Debatte oder Streitgespräch gebraucht. Denn Debatte, Diskussion, das heißt wörtlich: "zerschlagen und zerstoßen". Die konstruktive, wertschätzende Kultur des Zusammenfügens von Gegensätzen scheint indes vom Aussterben bedroht.

Wie heißt das Gespräch, in dem wir gemeinsame Fäden suchen? In dem wir darauf vertrauen, dass sich auch hinter scheinbaren Widersprüchen eine größere Ordnung verbirgt, die nur gemeinsam entdeckt werden kann? "Durch das Wort hindurch", so die wörtliche Übersetzung von "Dialog". Etwas, wovor weder Rilke noch wir Angst haben müssen. Denn der Dialog verbindet statt zu trennen. Er öffnet einen Raum, in dem des Menschen Wort undeutlich sein darf, in dem es rührend und wunderbar wird, gerade weil es sucht, versucht und noch nicht alles bis zum Letzten weiß.

Service

CD, Ulrich Reinthaller, "Rilke. Duineser Elegien I - V", ORF

Dialogikum Phönixberg 2014

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Friedrich Händel/1685 - 1759
Titel: Konzert für Orgel und Orchester Nr.11 in g-moll op.7 Nr.5 HWV 310
* Menuet - 3.Satz (00:02:06)
Solist/Solistin: Simon Preston /Orgel
Orchester: The English Concert
Leitung: Trevor Pinnock
Länge: 02:00 min
Label: DG 4134702

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