Gedanken für den Tag

von Martin Schwab, Schauspieler. "Gleichnisse zum Leben schaffen" - Gedanken nicht nur für den Tag. Gestaltung: Alexandra Mantler

Wenn man das Radio einschaltet, weiß man: Gleich kommen die Nachrichten, von der ersten bis zur letzten Meldung Krieg, Gewalt, Ratlosigkeit. Ohnmächtig hören und schauen wir zu, verdrängen und schauen weg. Warum ist das so? Muss das so sein?

"Wer hat das Muss gesprochen?", grübelt der Soldat Woyzeck bei Georg Büchner. Und der Aufklärer Lessing lässt seinen Nathan zum Derwisch sagen: "Muss! Derwisch! - Derwisch muss? Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste? Was müsst' er denn?"
Nach Antworten suchen und nicht allein sein, dazu ist das Theater da, live, jeden Abend. Dann hat es seinen Sinn.

Von Astrid Lindgren stammt folgende Geschichte:

Niemals Gewalt!
Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat. Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses "Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben".

Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: "Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen."

Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben: "Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein."

Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: "NIEMALS GEWALT!"

Service

Buch, Friedrich Schorlemmer, "Das soll Dir bleiben: Texte für morgens und abends", Radius Verlag

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Titel: Adagio in h-moll - Nr.2 aus dem Osteroratorium BWV 249 "Kommt, eilet und laufet"
Solist/Solistin: Heinz Holliger /Oboe
Orchester: Academy of St.Martin in the Fields
Leitung: Heinz Holliger
Länge: 02:00 min
Label: Philips 4114662

weiteren Inhalt einblenden