Zwischenruf

von Gisela Ebmer (Wien)

"Menschenopfer im Mittelmeer"

Hilf mir, dass mein Sturm sich legt,
Dass meine Flucht endet und weicht,
Leih mir einen Mantel, einen Weg,
Dass mir eine Richtung bleibt,
Und halt mich warm
Mit deinem Feuerlicht,
Und halt mich warm
Und vergiss mich nicht.

Ich höre diese Zeilen aus dem neuen Album von Herbert Grönemeyer und ich sehe die Bilder aus dem Fernsehen vor mir: Ein Boot im stürmischen Mittelmeer. Männer, Frauen, Kinder auf der Suche nach Rettung. Die Heimat haben sie verlassen, denn dort drohten sie zu verhungern, gefoltert, eingesperrt, erschossen zu werden. Jemand hat ihnen gesagt, in Europa gibt's ein gutes Leben. Ich bring dich dorthin. Gib mir dein Erspartes und ich regle das für dich. Große Schiffe fahren vorbei an dem überfüllten Boot. "Leih mir einen Mantel und halt mich warm mit deinem Feuerlicht". Das Boot droht wegen der großen Last auseinander zu brechen. Menschen stürzen sich ins Wasser. Bis dann endlich jemand hilft, leben nur mehr ganz wenige. 22.000 Menschen sind seit dem Jahr 2000 an den Grenzen der EU gestorben. Zum Gedenken an sie laden der Ökumenische Rat der Kirchen, Diakonie und evangelische Pfarrgemeinden kommenden Donnerstag zum Gebet beim Polizeianhaltezentrum in Wien Hernals, anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte.

Manchmal könnte ich schreien aus Wut und Hilflosigkeit. Hilflosigkeit, weil ich nicht weiß, was ich machen kann. Dann überlege ich mir: Ich habe zuhause Raum, könnte ich jemanden aufnehmen? Aber Flüchtlinge brauchen professionelle Hilfe.

Ich habe mich entschieden, den Flüchtlingsdienst der Evangelischen Diakonie finanziell zu unterstützen. Sie haben Häuser, sie haben Personal, sie haben Know-how.

Aber sie sind zu wenige. Ich höre, dass unsere Regierung mühsam ringt um eine Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer. Es gibt eine Einigung, es gibt Ideen von Standorten. Und dann protestiert die Bevölkerung vor Ort. Sie wollen keine Flüchtlinge vor der eigenen Haustür. "Hast du noch Liebe irgendwo, steht vielleicht ein bisschen rum?" So drückt es Herbert Grönemeyer ziemlich böse in seinem Song aus. Ich möchte rufen: Hallo, Leute, was fällt euch ein. Habt ihr kein Mitgefühl mehr, keine Liebe. Sperrt ihr euch ein in unserem reichen Europa? Errichtet ihr hohe Zäune, Mauern, damit niemand von unserem Reichtum was kriegt? Unserem Reichtum, der hauptsächlich darauf beruht, dass wir jenen Ländern in der Geschichte all das weggenommen haben, was sie jetzt zum Leben bräuchten. Wie verhärtet sind eure Herzen? Was ist das für eine Anmaßung!

Niemand muss eine Flüchtlingsfamilie in den eigenen vier Wänden aufnehmen. Das wäre auch eine totale Überforderung und würde niemandem helfen. Aber Europa könnte ein professionelles System aufbauen: Flüchtlinge werden willkommen geheißen an den Grenzen der EU. Sie werden erstversorgt. Sie werden aufgeteilt auf viele europäische Länder, wo sie professionell betreut werden. Männer, Frauen und Kinder haben Kleidung, haben Nahrung, ein Dach über dem Kopf. Das schafft Arbeitsplätze in ganz Europa: Dolmetsch, Rechtsberatung, Krankenpflege, Sozialarbeiter und Pädagoginnen, psychologische Betreuung für die Aufarbeitung erlittener Traumata und zum Finden neuer Perspektiven, Flüchtlinge brauchen Beschäftigung. Dass die einzige legale berufliche Tätigkeit für Flüchtlingsfrauen in Österreich bisher die Saisonarbeit und die Prostitution sind, empfinde ich als Ausbeutung von Menschen in einer allerschlimmsten, lebensbedrohlichen Situation. Lebensmittel, Textilien werden benötigt, Hygieneartikel, Reinigungspersonal, Köche, Handwerkerinnen. Die Flüchtlingsunterkünfte müssen in Stand gehalten werden. Unzählige Arbeitsplätze könnten in der EU geschaffen werden zur Rettung von Menschenleben.
In der letzten Zeit wird viel davon geredet, dass in der EU wieder investiert werden muss um die Wirtschaftskrise abzufangen. Wäre es angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes nicht angebracht, in die Hilfe für Menschen zu investieren?

Nur eine Minute
Ruhig stehen,
Nur eine stille Nacht,
Die sich kümmert, mich bewacht,
Die um mich weiß
Und nicht schweigt.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Herbert Grönemeyer
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Herbert Grönemeyer
Album: DAUERND JETZT
Titel: Feuerlicht
Solist/Solistin: Herbert Grönemeyer /Ges.m.Begl.
Länge: 01:00 min
Label: Universal 0602547046666

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