Gedanken für den Tag

"Der Traum vom Frieden" - Joseph Lorenz, Schauspieler, liest Texte von Friedensnobelpreisträgern. Gestaltung: Alexandra Mantler

Rede Rabins bei der Verleihung des Friedensnobelpreises (Oslo, 10. Dezember 1994)

Von allen Erinnerungen, die ich in meinen zweiundsiebzig Jahren gesammelt habe, werde ich mich bis zum letzten Tag am besten an die Ruhe erinnern: an die drückende Ruhe des Augenblicks danach und an die schreckliche Ruhe des Augenblicks davor. Als Soldat, als Kommandeur, als Verteidigungsminister habe ich viele Militäroperationen angeordnet und ich werde mich immer an den Augenblick direkt nach einer solchen Entscheidung erinnern: das Schweigen, wenn sich die hohen Offiziere oder die Minister des Kabinetts langsam von ihren Sitzen erheben, den Anblick ihrer Rücken beim Gehen, das Geräusch der Tür und dann die Ruhe, in der ich allein zurückblieb. Das ist der Augenblick, in dem man erkennt, dass als Resultat der soeben getroffenen Entscheidung, vielleicht Menschen zu Tode kommen. Menschen meiner Nation, Menschen anderer Nationen. Und sie wissen es noch nicht. Zu dieser Stunde lachen und weinen sie noch, schmieden Pläne und träumen von der Liebe, sinnen darüber nach, einen Garten zu bepflanzen oder ein Haus zu bauen - und sie haben keine Ahnung, dass dies ihre letzten Stunden auf Erden sind. Wer von ihnen wird sterben müssen? Wessen Bild wird schwarzgerahmt in der morgigen Zeitung zu sehen sein? Wessen Mutter wird bald trauern? Wessen Welt wird zerbersten unter dem Gewicht des Verlustes?

In der schrecklichen Stille dieses Augenblicks, bleibt immer noch Zeit, sich zu fragen, sich alleine zu fragen: Ist es wirklich zwingend zu handeln? Gibt es keine andere Wahl? Keinen anderen Weg?

Ein Kind wird auf völlig undemokratische Weise geboren. Es kann sich Vater und Mutter nicht aussuchen. Es kann sein Geschlecht oder seine Hautfarbe, seine Religion, Nationalität oder Heimat nicht wählen. Ob es in einem Schloss oder in einer Krippe geboren wird, ob es unter einer despotischen oder demokratischen Regierung lebt, unterliegt nicht seiner Wahl. Vom Augenblick der Geburt an wird sein Schicksal - in hohem Maße - von den Führern seiner Nation bestimmt.

Jedes Land hat seine eigenen Gesetze und seine eigene Kultur, Tradition und Führung. Aber es gibt eine universelle Botschaft, die die gesamte Welt umfasst. Es ist die Botschaft, die das jüdische Volk jahrtausendelang begleitet hat, die Botschaft, die sich im Buch der Bücher findet: 'Ve'nishmartem me'od l'nafshoteichem' - 'Deshalb achtet euch' - oder in heutiger Sprache: die Botschaft der Heiligkeit des Lebens.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Niccolo Paganini/1782 - 1840
Album: DUOS FÜR VIOLINE UND GITARRE - ITZHAK PERLMAN & JOHN WILLIAMS
Titel: Sonate für Violine und Gitarre op.3 Nr.6 in e-moll
Solist/Solistin: Itzhak Perlman /Violine
Solist/Solistin: John Williams /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: CBS MK 34508

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