Gedanken für den Tag

von Andrea Eckert, Schauspielerin. "Wo ist mein Anteil, Herr, am Licht?". Gestaltung: Alexandra Mantler

Ich möchte unsere gemeinsamen Minuten in dieser Woche mit einem Gedicht von Christine Lavant beginnen, die ich für eine der größten österreichischen Lyrikerinnen halte. Eine Künstlerin, bei der Licht und Schatten sehr nahe beieinander wohnten.

Wo ist mein Anteil, Herr, am Licht?

Ich will doch auch nach Hause kommen!
Mein Blindenstock ist weggeschwommen
unzeitig sank das Mondgesicht
Bergrücken wachsen mächtig.
Längst bin ich übernächtig
und überreif vor Müdigkeit
sooft der Atem in mir schreit
könnt ich den Tod gebären.
Laß das nicht ewig währen!
Verschaffe mir mein Heimweglicht.
Du weißt, ich brauch kein Himmelshaus
zeig mir das Obdach einer Maus
bevor der Tag mich steinigt.

Christine Lavant wurde als neuntes Kind einer Bergarbeiterfamilie geboren. Sie litt als kleines Mädchen schon unter Tuberkulose, Skrophulose, wäre fast erblindet und wurde mit vier Jahren von den Ärzten aufgegeben. Über ihre Mutter sagt sie: "Unsere Mutter hat sich nie satt essen können, hatte nur eine halbe Lunge, hat neun Kinder geboren und fast Tag und Nacht gearbeitet und mit übermenschlicher Tapferkeit immer ihre Angst verborgen. Mir persönlich blieb nur der Ausweg zwischen einem Strick und einer Handvoll ziemlich wüster Gedichte. Ich wählte vorläufig den letzteren." Hier noch eines meiner Lieblingsgedichte von ihr:

Vision

Man hat mir heute Nacht mein Herz vertauscht.
Es war so matt und hat sich nicht gewehrt.
Es war vom Abend her noch wie berauscht
und müd und ohne Schutz und stark versehrt
und konnte, wie ein krankes Kind, getragen werden .
Man hat es mir genommen, und mit Pferden,
die schwarz und hastig waren und vermummt -
ich hörte lang noch ihre Hufe schlagen -
hat man es fortgebracht; und rasch verstummt
war auch sein letztes banges Nach-mir-Fragen .
Was man mir ließ und was ich höre schlagen
und was mich zittern läßt, ist nicht mein Herz.
Nur so ein Etwas, ein von Lust und Schmerz
Vermischtes, das nicht auszusagen...
Mein Herz, mein Herz! Wen soll ich nach dir fragen?

Service

Buch, Richard Pietraß (Hg.), "Christine Lavant", Märkischer Verlag

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Franz Schubert/1797 - 1828
Titel: Symphonie Nr.6 in C-Dur DV 589
* Andante - 2.Satz (00:05:55)
Orchester: Symphonieorchester des Kölner Rundfunks
Leitung: Günter Wand
Länge: 02:00 min
Label: EMI CDC 7478752

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