Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Manuskripte brennen nicht" - Zum 75. Todestag von Michail Bulgakow. Gestaltung: Alexandra Mantler

Moskau, 10. März 1940: Elender ist selten ein Schriftsteller zugrunde gegangen - Im Jahr davor war Michail Bulgakow an Nierensklerose erkrankt und daher nach und nach völlig erblindet. In diesem Zustand diktierte er seiner Frau Jelena Passagen des Romans "Meister und Margarita", an dem er seit über zehn Jahren gearbeitet hatte. Am 13. Februar mussten sie die Korrekturen abbrechen, da Bulgakow kaum noch sprechen konnte. Am 10. März starb er im Alter von nur 49 Jahren.

Jelena hielt eine Szene aus den letzten Lebenswochen ihres Mannes fest: Als ich eines Tages wie immer bei ihm saß, auf einem Kissen auf dem Fußboden, am Ende seines Bettes, gab er mir zu verstehen, dass er etwas brauchte, etwas von mir wollte. Ich bot ihm Arznei an, Zitronensaft, doch ich begriff, dass er etwas anderes wollte. Intuitiv fragte ich: "Deine Arbeiten?" Er machte eine Kopfbewegung, die ja und nein bedeuten konnte. Ich sagte: "Meister und Margarita"? Da nickte er erfreut. Und presste hervor: "Sie sollen es kennen, sie sollen es kennen".

Nach Bulgakows Tod gab Jelena dessen Freund und Biografen Pawel Sergejewitsch Popow eine Kopie des Roman-Manuskriptes. Popow schrieb Jelena, welchen gewaltigen Eindruck der Roman ihm gemacht hatte, und schloss seinen Brief: "Je weniger diesen Roman kennen, um so besser. Ein geniales Werk behält auf ewig seine Gültigkeit. Doch einstweilen ist der Roman nicht akzeptabel. Es werden 50 - 100 Jahre vergehen müssen."
Bulgakows wichtigste Werke konnten zu seinen Lebzeiten nicht erscheinen. Im Jahrzehnt vor seinem Tod wurden auch seine Stücke und Librettos nicht mehr aufgeführt. Jelena schrieb darüber:

"Ja, es gab finstere, ganz schreckliche Momente nicht der Wehmut, sondern des Entsetzens vor einem mißlungenen literarischen Leben. Dennoch, wenn ich gefragt werde, ob wir, ob ich ein tragisches Leben hatte, antworte ich: Nein. Nicht eine Sekunde. Es war das lichteste, das glücklichste Leben, das man nur haben kann. Es gab damals keine glücklichere Frau als mich".

Die große Poetin Anna Achmatowa schrieb unter dem Eindruck des Todes von Bulgakow ein Gedicht, an dessen Ende sie ihn besingt als den, "der ins Angesicht gesehn / Dem Tod, vor Schmerzen bebend, nicht gebrochen".

Service

Buch, Michail Bulgakow, "Meister und Margarita", DTV
Buch, Michail Bulgakow, "Das hündische Herz", DTV
Buch, Michail Bulgakow, "Die weiße Garde", Luchterhand Literaturverlag
Buch, Michail Bulgakow, "Gesammelte Werke", Verlag Volk und Welt

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Alexander Borodin/1833 - 1887
Album: Russische Klaviermusik
Titel: Kleine Suite für Klavier - daraus Stück Nr.7 : Nocturne
Solist/Solistin: Margaret Fingerhut /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Chandos 8439

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