Gedanken für den Tag

von Saskia Jungnikl, Journalistin. "Das Ende, der Anfang". Gestaltung: Alexandra Mantler

Trauer und Familien

Meine Mama sagt, eine Familie ist wie ein Mobile. Jedes Familienmitglied hängt an einem Faden, wie bei einem Windspiel bedingt seine Stabilität die der anderen. Nach dem Tod meines Vaters bricht unser Familien-Mobile zusammen. Es ist lange in Bewegung. Wenn sich alles andere ändert, ändert sich auch die eigene Rolle.

Ich verliere durch seinen Tod an Selbstbewusstsein und Sicherheit. Wir alle verlieren an Sicherheit. Ein plötzlicher Tod zerstört die Familienstruktur von einem Moment auf den anderen. Er lässt alles unsicher erscheinen und macht einen verwundbar, er schürt die Angst, dass vielleicht im nächsten Moment schon wieder etwas Schreckliches passiert, ohne dass wir davon ahnen oder es verhindern können.

Wenn eine Familie weiß, dass jemand aus ihrer Mitte bald sterben wird, dann können sich die Rollen schon langsam verschieben. Das Mobile stellt sich langsam um, das Vor-Wissen um den Tod macht die Trauer nicht leichter, aber sie mindert den Schock, sie mindert die Gefahr, dass das Familiengefüge völlig zusammenbricht. Ein plötzlicher Todesfall oder ein Suizid erschweren den Trauerverlauf der Hinterbliebenen, weil unvorhergesehen jemand aus ihrer Gemeinschaft gerissen wird.

So hinterlässt der Tod meines Vaters ein Vakuum in unserer Familie. Langsam erst verschieben sich die Rollen, die Beziehungen untereinander werden neu definiert. Das braucht viel Zeit. In den ersten Monaten sind wir schon unruhig, wenn einer etwas länger beim Einkaufen braucht. Wir rücken eng zusammen.

Es ist wichtig, dass innerhalb der Familie über den Schmerz und die Gefühle geredet werden kann. Es ist aber auch wichtig, dass Freunde mit einem darüber reden. Viele wissen nicht, wie sie das ansprechen sollen oder was zu intim ist. Ich bin mir sicher, dass egal ist, welche Frage gestellt wird. Hauptsache es wird eine Frage gestellt. Es ist das wichtigste, dass man die Möglichkeit hat, über das Entsetzen zu reden. Und es ist leichter zu sagen, bitte reden wir über etwas anderes, als sagen zu müssen, bitte lass uns über den Tod und meine Trauer reden.

Service

Buch, Saskia Jungnikl, "Papa hat sich erschossen", Verlag Fischer

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/1955
Gesamttitel: 10 leichte Stücke für Klavier
Titel: Meditation < Nr.2 >
Solist/Solistin: Leszek Mozdzer /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: EMI Classics 5569712

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