Gedanken für den Tag

von Josef Leitner, Theologe, Personalleiter und Universitätslektor. "Kultur des Reisens". Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Wunsch zu reisen scheint etwas typisch Menschliches zu sein - das Verlangen, sich fortzubewegen, die Neugier zu befriedigen, ein Fremder zu sein oder in eine mystische Landschaft einzutauchen. So betrete ich mit meiner Frau den mit Blumen und großen Laubbäumen bewachsenen Innenhof eines Beginenkonvents in der belgischen Stadt Brügge. Ringsum bilden einstöckige Giebelhäuschen mit schlichter harmonischer Architektur die Begrenzung, fast wie eine Reihenhausanlage - allerdings aus dem 12. Jahrhundert. Als Besucher sind wir gefangen von der besonderen Atmosphäre dieses Ortes. Beginen haben sich als Verein freier Frauen zusammengeschlossen, als eigenständige christliche Gemeinschaft - um Kranke und Bedürftige zu pflegen. Sie legten ein Gelübde auf Zeit ab - und fanden so einen Mittelweg zwischen Ordensleben und Laientum. Sie verzichteten auf jeden persönlichen Besitz und sicherten ihren Lebensunterhalt weitgehend durch eigene Arbeit, als Hebamme oder Seidenstickerin, Bierbrauerin und Bäckerin. Da Bildung nur für unverheiratete Frauen zugänglich war, gab es unter den Beginen auch viele Hochgebildete. Es war jederzeit möglich, aus der Gemeinschaft auszuscheiden und wieder ein bürgerliches Leben zu führen. Ursprünglich waren sie von der katholischen Kirche akzeptiert, unterschieden sich aber von den anerkannten Orden durch ihr Laientum. Sie wurden schließlich von den Zünften als Konkurrenz betrachtet und von der kirchlichen Inquisition - teilweise auch als Hexen - verfolgt. Nur wenige Beginen haben den Weg von der mittelalterlichen Frauen-Ordensgemeinschaft in die Moderne geschafft.

Mit der Seele baumeln im blühenden Beginenhof in Brügge - die idyllische Stimmung ist dennoch nicht ungetrübt. Diese Anlage lebt nur mehr von der Geschichte. Die moderne Gemeinschaftsidee gibt es in dieser Form nicht mehr. Die letzte Beginenfrau starb vor zwei Jahren.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Hildegard von Bingen/1098 - 1179
Album: Hildegard von Bingen und ihre Zeit - Geistliche Musik des 12.Jhs
Titel: Ave, Maria, o auctrix vitae - Instrumentalstück nach dem Responsorium
Ausführende: Ensemble für frühe musik augsburg
Ausführender/Ausführende: Heinz Schwamm /Fidel
Ausführender/Ausführende: Sabine Lutzenberger /Blockflöte
Ausführender/Ausführende: Hans Ganser /Psalterium
Ausführender/Ausführende: Rainer Herpichböhm /Harfe
Länge: 02:00 min
Label: Christophorus 74584

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