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"Pragulic": Prager Obdachlose führen durch ihre Stadt

Honza B. ist seit 13 Jahren obdachlos und Stadtführer bei Pragulic, einem Unternehmen, das Stadtspaziergänge durch Prag organisiert und dabei andere Blicke auf die böhmische Metropole bietet. Entwickelt wurde das Projekt der Obdachlosentouren von drei Soziologiestudenten.

Die Obdachlosen stellen ihre Stadtführungen selbst zusammen. Sie zeigen darin ihre jeweiligen Interessen und damit einen Teil ihres Lebens. Robert zum Beispiel leitet eine Führung zum Thema Eisenbahn; Karim zeigt die Prager Unterwelt der homosexuellen Prostitution; Honza bietet eine Büchertour durch die Antiquariate der Stadt an.

"Ich bin nicht arbeitslos, sondern arbeitgeberlos, sagt Honza. Doch ich habe etwas gefunden, was ein Äquivalent zu dem darstellt, was man Arbeit oder Anstellung nennt. Ich sammle weggeworfene Bücher aus Containern. Ich verbringe damit täglich mehr als acht Stunden, auch an Sonntagen. Ich gehe dabei jeden Tag zehn bis fünfzehn Kilometer zu Fuß. Und ich habe mir eine Klientel aus Antiquaren aufgebaut. Ich kenne ihre Vorlieben und weiß genau welchen Titel ich wohin bringen muss."

Honza hat noch einen anderen Absatzmarkt. Oft findet er beschädigte Bücher, die sich nicht mehr an Antiquariate verkaufen lassen. Also durchsucht er die Bände nach gut erhaltenen Seiten oder Illustrationen. Diese bringt er zu einer Werkstatt, in der daraus Notizbücher und Kalender hergestellt werden.

Die letzte Station der Führung ist ein besetztes Gebäude, das als "antikommerzielles, soziales und kulturelles Zentrum in Prag" bezeichnet wird. Es gibt Schlafplätze und eine Gemeinschaftsküche, außerdem werden regelmäßig Konzerte und andere Veranstaltungen organisiert. Für Honza ist es einer der Orte, die er regelmäßig als Unterkunft nutzt. Und hier erzählt er auch ein wenig aus seinem Leben: "Meine Frau hat mich verlassen und zwar mit meinem Steuerberater, erzählt er. Das heißt, sie hat auch mein ganzes Eigentum mitgenommen. So bin ich obdachlos geworden. Der tschechische Dichter Wolker schrieb: Der Mann hat stets zwei Lieben, eine heiratet er, an der zweiten geht er zu Grunde."

Davor hatte Honza eine Reihe verschiedener Berufe. Studiert hat er Dokumentarfilm an der Prager Filmakademie: "Mir hat es an der Filmakademie gefallen, weil ich mich immer mit tabuisierten Themen auseinandergesetzt habe. 1983 habe ich zum Beispiel einen Film über Homosexualität gedreht. Die Kommunisten haben damals behauptet, dass Homosexualität nicht existiert."

Das Projekt Pragulic möchte mehr sein als ein Unternehmen, das etwas andere Stadtführungen organisiert. Organisator Klügl erklärt, was ihm noch wichtig ist: "Wir haben eine enge Beziehung zu unseren Stadtführern, und wir helfen ihnen so gut wir können. Wenn sie zum Beispiel Hilfe mit einer Unterkunft brauchen, Kleidung oder andere Dinge benötigen und auch wenn bürokratische Angelegenheiten zu erledigen sind ... Unterstützung ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von Pragulic."

"Auch Honza bestätigt den positiven Effekt von Pragulic auf sein Leben: Ich war in einem derart verzweifelten psychischen Zustand, dass ich lange Zeit komplett unbrauchbar für irgendeine geregelte Arbeit war. Es ging einfach nicht. Jetzt ist es besser. Und dank Pragulic habe ich wieder ein positives Lebensgefühl."- Gestaltung: Sophie Menasse

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