Radiokolleg - Abgeschottet unabhängig?
Die Idee der Autarkie
(1). Gestaltung: Julia Gindl
19. Oktober 2015, 09:30
Wohnhäuser, Gemeinden oder sogar ganze Städte, die unabhängig von fossilen oder nuklearen Energiequellen und vom Netz abgekoppelt sind und ihre Energie zum Beispiel über Solar- und Windanlagen gewinnen - energieautark soll die Stadt der Zukunft sein. Im Internet werden Seminare zum "Autark werden" angeboten, in denen man lernt, die eigenen Grundbedürfnisse ohne fremde Abhängigkeiten zu befriedigen und genügsam zu leben. Es gibt Natur-, Wildnis- und Überlebenstrainings für Krisenzeiten, Do It Yourself-Anleitungen für landwirtschaftliche Gebäude und Plattformen über Höfe im Südburgenland oder in der Toskana, auf denen man projektweise beim "Experiment Selbstversorgung" mitmachen kann und zum Beispiel lernt, Flächen wieder nutzbar zu machen, um dann darauf einen Gemüsegarten anzulegen. Autark leben wird mit Selbstversorgen, mit eigenen Ressourcen, mit Aussteigen, mit Unabhängigkeit, mit Selbstgenügsamkeit, mit Selbstständigkeit, mit Autonomie, mit zurück zur Natur verbunden. Aber auch mit Abschottung und Abkapselung: 1925 hatte Benito Mussolini zur "Weizenschlacht" aufgerufen, seine aggressive Agrarpolitik nach dem ersten Weltkrieg sollte zur Autarkie bei der Getreideproduktion führen. Auch die Nationalsozialisten haben das wirtschaftliche Konzept der Autarkie propagiert. Und auch Nordkorea strebt in seiner Juche-Ideologie Autarkie als Maß aller Dinge an, ist aber gleichzeitig von humanitärer Hilfe abhängig. Ist die Autarkie ein Begriff der Krise und an welche Grenzen stößt das Konzept? Welche historischen Ideen verbergen sich hinter der Autarkie? Welches Zukunftspotenzial haben energieautarke Modelle in der Stadt? Nimmt das Bedürfnis nach einem unabhängigen Leben trotz oder ob immer mehr digitaler Vernetzung zu? Welche Rolle spielt die Digitalisierung für den Trend zur Dezentralisierung? Und gibt es ein autarkes Leben in der vernetzten Gegenwart? Julia Gindl über die Illusion des Rückzugs.
Service
Links
Wohnwagon
Obststadt Wiener Neustadt
Überlebenstraining Martin Mollay
Armen Avanessian
Literatur
Christoph Braun: Hacken. Leben auf dem Land in der digitalen Gegenwart. Tropen Verlag, Stuttgart 2012.
Marc Engelhardt (Hrsg.): Völlig utopisch. 17 Beispiele einer besseren Welt. Pantheon Verlag, München, 2014.
Jan Grossarth: Vom Aussteigen & Ankommen. Besuche bei Menschen, die ein einfaches Leben wagen. Goldmann Verlag, München, 2012.
Andreas Möller: Das Grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird. Hanser Verlag, 2013.
Roger Hackstock: Energiewende. Die Revolution hat schon begonnen. Kremayr & Scheriau, Wien, 2014.
Hermann Scheer: Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien. Kunstmann Verlag, München, 2005.
Christian Schüle: Der letzte Freigeist. 21 Fragmente. einer Identität des Aussteigers, Mare 65, 2007/2008.