Gedanken für den Tag

von Petra Ramsauer, Journalistin. "Tage der Hoffnung" - Zum 5. Jahrestag des "Arabischen Frühlings". Gestaltung: Alexandra Mantler

Mich zu erinnern, kann anarchistisch verlaufen. Wenigstens scheint es so. Wenn es um die Details epochaler Momente des Arabischen Frühlings geht, muss ich jetzt schon, nur fünf Jahre später, meine alten Reportagen nachlesen, um mich exakt zu erinnern.

Etwa als am Tahrir-Platz im Zentrum Kairos der Rücktritt von Hosni Mubarak bekannt wurde. Dafür sind gänzlich unspektakuläre Momente aus dieser Zeit in allen Farben, Gerüchen und Gefühlen so präsent, als hätte ich sie erst gestern erlebt. Ein Mann um die Sechzig, in einem abgetragenen Anzug, sein nicht zugeknöpfter Wintermantel flattert im lauen Wind. Er geht mit großen Schritten auf ein paar Jugendliche zu. Die Sonne scheint, es ist ungewöhnlich warm. Der Mann lacht ausgelassen. Bleich ist er, eigentlich erschreckend bleich, so als wäre er ewig in seiner Wohnung eingebunkert gewesen. Strahlend greift er jetzt in die Manteltasche und holt Zigaretten raus. Eine nach der anderen, steckt sie den jungen Demonstranten zu. "Danke", sagt er immer wieder, "Danke. Danke. Ich hatte mein Leben lang Angst. Und jetzt ist alles leicht. Ein Wunder." - "Brot, Würde, Freiheit", steht auf dem Transparent, das die Jugendlichen halten.

Das Regime Mubaraks war zu diesem Zeitpunkt, Ende Jänner, noch im Amt. Nur ein paar Schritte entfernt, Panzer. Eine unbewaffnete Befreiungsbewegung, die sich aus dem Nichts zu formieren schien, trotzte plötzlich dem System. Dies war - aus meiner Sicht - die eigentlich historische Dimension der damaligen Ereignisse. Das Ende des Diktates der Angst. Dass der Aufbau einer demokratischen Ordnung nach dem Sturz der Diktatoren auch in Ägypten nicht funktionierte, ist eine andere, wichtige Geschichte. Die blutigen Machtkämpfe nach 2011 verstellen längst die Sicht auf eigentlich nicht unspektakuläre Momente, die aber präzise wiedergeben, worum es damals eigentlich ging: Sie verdienen auch heute noch, so genannt zu werden; Momente des Arabischen Frühlings. Und funktioniert die Erinnerung eigentlich auch sehr präzise.

Service

Buch, Petra Ramsauer, "Die Dschihad-Generation. Wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht", Verlag Styria

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Salah El Sharnobi
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Omar Batiesha
Album: ÄGYPTEN: WARDA
Titel: Batwanness beek (I feel safe with you)
Solist/Solistin: Warda /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Hemisphere 8556492

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