Gedanken für den Tag

von Petra Ramsauer, Journalistin. "Tage der Hoffnung" - Zum 5. Jahrestag des "Arabischen Frühlings". Gestaltung: Alexandra Mantler

"Und was haben wir Ägypter nach sechzig Jahren mit einem säkularen Regime? Schau Dich um. Straßen? Das sind doch Pisten mit Löchern. Anständige Schulen? Kliniken? Ich etwa einen Job?"

Als ich Seddik Mohammed im Frühling 2011 fragte, warum er nun Muslimbruder geworden war, geriet er in Rage. "Warum sollen wir es nun nicht mit den politischen Islamisten versuchen? - Ich will ein neues System, keine Marionette von Politikern sein, die der Westen unterstützt, gleich was sie mit uns und für uns tun." Über Wasser hatte sich der 26-jährige promovierte Sprachwissenschaftler gehalten, indem er Touristen auf seinen Kamelen vor den Pyramiden in Gizeh reiten ließ. Gereicht hat es nie, vor allem nicht für seinen Lebenstraum: Heiraten.

300 Millionen Menschen in der Arabischen Welt waren 2011 jünger als dreißig, ein Drittel arbeitslos. Mohamed Bouazizi wurde ihre Ikone: jener tunesische Obstverkäufer, der sich im Dezember 2010 aus Protest gegen eine Schikane der Polizei selbst verbrannt hatte. Er war auch 26, so alt wie Seddik Mohammed und auch er hatte einen Uni-Abschluss gehabt, der doch nur für Gelegenheitsjobs reichte. Sein Tod wurde Zündfunke für den Ausbruchversuch der Jungend aus dem Wartesaal auf das Leben. Ihnen war es gelungen, die verknöcherten Regime ins Wanken zu bringen.

Doch sie hatten nach der Revolution keinen Plan B. Den hatten die Islamisten, die sich eilig bemühten, sich als das "Neue" anzupreisen. - Damit begann aus dem Aufstand der Jugend ein politischer Machtkampf unter den Alten zu werden. "Ich fühle mich immer noch wie eine Marionette", sagte mir Seddik Mohammed vor einem Jahr. Muslimbruder ist er nicht mehr. Die sind verboten und hätten ihn ohnehin enttäuscht. Er habe noch immer keinen Job, aber auch keinen mehr vor den Pyramiden, und auch keine Frau. Aber eines habe er jetzt, sagt er: "Die Sicherheit, dass wir, die Jungen, wenn wir auf die Straße gehen, Macht haben. Und der Frühling kommt ja wieder. Jedes Jahr."

Service

Buch, Petra Ramsauer, "Die Dschihad-Generation. Wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht", Verlag Styria

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Salah El Sharnobi
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Omar Batiesha
Album: ÄGYPTEN: WARDA
Titel: Hobak wesl madah (Your love reached its end)
Solist/Solistin: Warda /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Hemisphere 8556492

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