Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Früher oder später muss man Partei ergreifen, wenn man ein Mensch bleiben will". Gestaltung: Alexandra Mantler

Der englische Schriftsteller Evelyn Waugh, der am 10. April vor 50 Jahren gestorben ist, muss ein Ekel gewesen sein - "ein faszinierendes Ekel von brillanter Intelligenz und zynischem Humor", wie ein deutscher Literaturkritiker schrieb.

Es wird berichtet, er habe als Offizier im Zweiten Weltkrieg seine Untergebenen so schlecht behandelt, dass Wachen vor seinem Schlafzimmer postiert werden mussten, damit er nicht von den eigenen Leuten erschlagen würde. Einmal mokierte sich jemand, wieso Waugh, der doch zum Katholizismus konvertiert war, sich so mies verhalten konnte. Waughs schlagfertige Antwort darauf: "Sie wissen nicht, um wie viel ekelhafter ich wäre, wenn ich nicht Katholik geworden wäre."

Für mich ist das eine bedenkenswerte Antwort, denn oft wird als Argument gegen eine Religion das miese Verhalten von einem ihrer Vertreter ins Treffen geführt. Dem Antisemitismus passt nichts besser in seinen Kram als ein unsympathischer Jude, und den Muslime-Hassern kommt ein Muslim, auf den man mit dem Finger zeigen kann, gerade recht. Und natürlich findet man auch bei den Christen Beispiele abschreckenden Verhaltens, wenn man danach sucht. Was wäre, wenn man, bevor man über die jeweilige Religion den Stab bricht, erst einmal denkt: Vielleicht wäre der ohne seine Religion noch viel mieser.

Aber zurück zu Evelyn Waugh: Viel wichtiger als sein persönliches Verhalten oder seine erzkonservativen Ansichten sind seine Romane, die im Vorfeld seines 50. Todestages zum Teil in neuer Übersetzung auf Deutsch erschienen sind. In "Wiedersehen mit Brideshead" etwa erweist er sich als unverwechselbarer Gesellschaftskritiker und Satiriker, in "Lust und Laster" nimmt er die Schickeria im London der 1920er Jahre aufs Korn und zeigt eine Gesellschaft, in der alles nur Konvention und Konversation ist. Unverwechselbar auch sein Roman "Tod in Hollywood", in dem die Firma "Die ewigen Jagdgründe" Begräbnisse von Tieren organisiert - nach Wunsch auch im Beisein eines Pfarrers. Ich könnte süchtig werden nach Evelyn Waughs aberwitzigen Szenen - und nach seinen glasklaren Sätzen sowieso.

Service

Graham Greene, "Der dritte Mann", Paul Zsolnay Verlag
Graham Greene, "Die Kraft und die Herrlichkeit", dtv
Graham Greene, "Unser Mann in Havanna", dtv
Graham Greene, "Das Ende einer Affäre", dtv
Graham Greene, "Die Reisen mit meiner Tante", dtv
Graham Greene, "Der stille Amerikaner", dtv
Graham Greene, "Das Herz aller Dinge", dtv
Evelyn Waugh, "Wiedersehen mit Brideshead", Diogenes Verlag
Evelyn Waugh, "Ohne Furcht und Tadel", Diogenes Verlag
Evelyn Waugh, "Tod in Hollywood", Diogenes Verlag
Max Frisch, "Tagebuch 1946 - 1949", Verlag Suhrkamp
Max Frisch, "Tagebuch 1966 - 1971", Verlag Suhrkamp
Max Frisch, "Stiller", Verlag Suhrkamp


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Burgon
Album: Brideshead Revisited
Brideshead theme
Ausführender/Ausführende: Geoffrey Burgon
Länge: 02:00 min
Label: CPCD 1367

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