Dimensionen - die Welt der Wissenschaft

Zur Kultur und Konjunktur der Unhöflichkeit. Eine Annäherung von Thomas Mießgang

Über den derben Wahlkampfstil von Donald Trump schrieb das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Es ist, als würde bei einer Essensrunde, die sich lange schon auf Tischmanieren verständigt hatte, plötzlich wieder hemmungslos gerülpst." Der Milliardär, der selten einmal oberhalb der Gürtellinie operiert, mag ein Extremfall in den zeitgenössischen Medien- und Kommunikationsenvironments sein, doch in gewisser Weise ist sein Verhalten im öffentlichen Raum paradigmatisch für eine Zunahme von unhöflichen Umgangsformen und egozentrischen Rempelmechanismen. Ob es sich um das individuelle Ausrasten im Verkehr handelt oder um den Proletkult im Fernsehen, um einen dramatischen Anstieg von Mobbingfällen im Geschäftsleben oder um skandalöse Entgleisungen in der Politik: Wir sind, so scheint es, auf dem Weg in eine globale Rüpelgesellschaft. Aber nicht jede Form von Unhöflichkeit ist Indiz für den beschleunigten Verfall der Sitten und des Gemeinwesens: Gerade wenn sich das Vulgäre, medial gestützt, flächendeckend auszudehnen droht, kann strategischer Grobianismus in der Tradition der lutherischen Schmährede eine heilsame Wirkung entfalten. In diesem Sinne wäre das grob unhöfliche Hassgedicht des deutschen TV-Moderators Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan unbedingt zu verteidigen: Es half, die Kraft, die stets das Böse will, zur Kenntlichkeit zu entstellen. Ein Beitrag zur Psychohygiene der Gesellschaft?

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