Zwischenruf

von Oberkirchenrätin Ingrid Bachler (Wien)

"Ihr seid das Salz der Erde"

Essen Sie Ihr Frühstücksei mit oder ohne Salz? Gehören Sie zu den Menschen, die, bevor sie noch den ersten Bissen einer Speise gekostet haben, schon nach dem Salzstreuer greifen? Was immer Sie heute kochen oder essen werden, es wird Salz enthalten.

Salz gibt es überall - im Meer, auf der Erdoberfläche und in fast jedem Organismus. Salz ist nützlich - wenn es Speisen würzt oder haltbar macht, die Lunge heilt und die Atemwege säubert. Salz ist schmackhaft - es gibt jedem Gericht einen Mehrwert, indem es eine geschmackverstärkende Rolle spielt. Salz ist notwendig - Jeder und jede braucht Salz.

"Ihr seid das Salz der Erde": Diese starken Worte hatten die Veranstalter der christlichen Begegnungstage für Ost- und Mitteleuropa in Budapest als Motto gewählt. Und sie hatten Recht: Ich habe dort ein Fest der Vielfalt an Sprachen und an Menschen erlebt, die miteinander zusammen waren. Seit 20 Jahren gibt es diese christlichen Begegnungstage. Sie haben ihre Wurzeln in der Öffnung der protestantischen Kirchen füreinander nach der Wende. Ihr Ziel ist es, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stärken.

Das geschieht in Podiumsgesprächen über Migration und Minderheiten, im Nachdenken über Pilgerwege in Europa, im Genießen von Chor- und Orgelkonzerten, im gemeinsamen Feiern mit Blick auf den berühmten Satz von Jesus Christus: "Ihr seid das Salz der Erde".

Immer, wenn ich diesen Bibelvers höre, denke ich an das Tote Meer: Von der Wüste umgeben sind die Meeresufer vom vielen Salz verkrustet. Diese Konzentration an Salz verhindert organisches Leben im Toten Meer. Heute versucht man das Tote Meer, dessen Wasserspielgel aufgrund der Erderwärmung stetig sinkt, durch Wasserzufuhr aus dem roten Meer zu retten. Warum ist die Existenz des Toten Meeres so wichtig geworden? Es hat sich herausgestellt, dass das Tote Meer für manche Krankheiten große Heilungsmöglichkeiten bietet. Ein neuer Name für dieses Meer verbreitet sich: das Meer des Lebens.

Ohne Salz schmecken die Speisen nicht. Salz ist unscheinbar und doch wirkungsvoll. Einmal in das Essen gestreut, wird es unsichtbar, aber die Wirkung, die Würze, bleibt.

"Ihr seid das Salz der Erde": Manchmal frage ich mich, ob Menschen als einzelne überhaupt etwas bewirken können. Das Bild vom Salz sagt mir: Immer dann, unabhängig von der Menge, wenn wir es dazugeben, gerade dann, wenn es seine Wirkung entfaltet, wird es unsichtbar, aber niemals wirkungslos.

Das Salz muss beim Zubereiten der Speisen griffbereit zur Hand sein. Es braucht ein Gefäß, in dem es aufbewahrt wird. Vielleicht ist das kleine Gefäß des Salzstreuers ein gutes Bild für die Kirchen. Sie haben eine Botschaft, die zum Leben gebraucht wird. Sie sind in der Nähe, griffbereit und ganz nah bei den Menschen.

Es sind die Menschen, die wie Salz wirken, die sich einsetzen und hilfreich ihre Gaben und Talente einbringen. Es sind die Menschen, die in den Pfarrgemeinden mit Geist und Engagement unermüdlich das gemeinschaftliche Leben umsetzen: Sie besuchen die Bewohnerinnen und Bewohner in den Seniorenheimen, sie sind da, wenn jemand im Krankenhaus ist. Sie gratulieren zum runden Geburtstag und holen auf Wunsch auch zum Gottesdienstfeiern ab. Es sind die Menschen, die als Religionslehrerinnen und Religionslehrer arbeiten und sich den wichtigen Lebensfragen der Jugendlichen stellen. Es sind Menschen, die in ihren Pfarrgemeinden Gottesdienste halten. Sie alle wirken wie Salz der Erde. Sie sind oft unsichtbar, aber sehr wirkungsvoll.

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