Zwischenruf

von Prof. Susanne Heine (Wien)

Apokalyptische Zustände - Achtung: Ansteckungsgefahr

Neulich habe ich mich bei Fantasien vom Weltuntergang ertappt und an die Apokalypse des Johannes erinnert, das letzte Buch der Bibel. Da steigt ein schauerliches Tier aus dem Meer herauf, das großmäulig alles schlechtredet und beauftragt ist, Krieg zu führen. Alle bewundern es und laufen hinter ihm her. Ein anderes Tier steigt vom Land auf, schaut harmlos aus wie ein Lamm, redet aber wie ein böser Drache (Apokalypse des Johannes, Kap. 13). Tauchen solche Tiere derzeit nicht überall auf? In der Ferne, im Osten und Westen - in Europa, in der nachbarschaftlichen Nähe?

Die Tiere aus der Apokalypse lassen an den Terror denken, der zu jeder Zeit an jedem Ort zuschlagen kann. Man darf nicht einmal mehr in einem Bummelzug nach Würzburg fahren, ohne ein Messer zwischen die Rippen zu kriegen. Eine Verhaftungswelle in der Türkei. Gehören die Militärputsche mit ihren brutalen Strafmaßnahmen nicht der Vergangenheit an? Rassenkämpfe in den USA. War das nicht überwunden? Kehrt da nicht vieles wieder? Kriegsdrohungen, Flüchtlingstragödien, Europa am Zerfallen und in den USA ein Kandidat, der keine Friedensstiftung vermuten lässt.

Manchmal will es mir scheinen, dass die Welt einem Verfolgungswahn verfallen ist. Keine Empathie, kein Verstehen wollen, nur hochprozentiges Misstrauen. Ein alles durchdringendes Gefühl von Unzufriedenheit und Benachteiligung, an dem immer die anderen schuld sind. Alle da draußen sind die irregeleiteten Gutmenschen, aber wir, hier drinnen, sind die wahren Guten. Eine Art Zeltmentalität. Wir im Zelt kennen die eine und einzige Wahrheit und herein darf nur, wer sich unserer Wahrheit unterwirft. Weil wir die Wahrheit besitzen, werden wir verfolgt. Alle haben sich gegen uns verschworen, deshalb müssen wir uns wehren und zurückschlagen, bevor uns die Bösen vernichten.

- Aber Achtung: Verfolgungswahn ist ansteckend. Lass Dich nicht hineinziehen, sage ich mir. Zum Verfolgungswahn gehört die Vorstellung, alles vom Bösen reinigen zu müssen: die reine Kultur ohne Dekadenz, der reine Glaube ohne Gefühlsduselei à la Nächstenliebe, das reine Volk ohne Überfremdung. Nationalismus, Rassismus, Dschihadismus, Extremismus aller Arten, religiös oder politisch, geben sich derzeit ein Stelldichein. Da sich eine reine Welt nicht von selbst ergibt, muss sie hergestellt werden - mit Gewalt, in Worten oder gleich Taten. Alle diese Ismen sind nicht nur mit Besen bewaffnet.

- Aber Achtung: Reinheitsfanatismus ist ansteckend. Lass Dich nicht hineinziehen, sage ich mir. Es ist, als sei der Stern namens Wermut aus der Johannes-Apokalypse auf die Erde gefallen (2 Apokalypse des Johannes, 8, 11). Und sogleich tauchen auch die Erlösergestalten auf, die sagen: Alles ist kaputt, aber ich habe die Lösung! Ich zeige euch den Weg ins Paradies im Himmel, zum wahren Glauben, zurück in einen heilen Naturzustand, ins christliche Abendland, in die gute alte Zeit vor der EU. Je erschreckender die Lage, desto verführerischer solche Fantasien und desto größer die Zahl derer, die ihnen nachlaufen. Aber Extremisten und Erlöser sind ein- und dieselbe Person, die die Welt von allem Schlechten erlösen will, und zwar gewaltsam, sei es auch nur mit Worten. Extremisten-Erlöser wachsen am Stamm des verzweifelten Versuchs, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aus der Masse der Menschheit herauszutreten und eine überragende Bedeutung zu erlangen. Das gibt ihnen den trügerischen Anschein der Stärke.

- Aber Achtung: Erlösungsfantasien sind ansteckend. Lass Dich nicht hineinziehen, sage ich mir. Ich lebe in unsicheren Zeiten, das ist ohne Zweifel eine Realität, die mich verunsichert. Bin ich schon angesteckt, weil ich an die Apokalypse des Johannes denken muss? Aber gehen Verfolgungswahn und Erlösungsfantasien nicht weit über die reale Bedrohung hinaus? Steigern sie nicht vielmehr die Bedrohung? Und richten sie nicht noch zusätzliches Unheil an, wenn die Politik und eine ganze Gesellschaft davon angesteckt werden? Ist es nicht genau das, was Extremisten-Erlöser erreichen wollen?

- Lass dich nicht anstecken, sage ich mir, und: überlass die Erlösung lieber Gott.

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