Gedanken für den Tag

27. August 2016, 06:56

Immer wieder fallen mir meine Lehrer ein - nicht nur, weil der Schulbeginn langsam näher rückt und meine Tochter bald wieder in ihre wunderbare Schule gehen wird, in der die Kinder geachtet und gefördert werden. Sie kennt meine Schulgeschichten, die ich diese Woche reflektiere, aber ich bin froh, dass sie viele nicht nachvollziehen kann, weil ihre Schule ganz anders ist als mein Gymnasium es war.

Aber auch ich habe gute Erinnerungen. Etwa die an unseren Mathematik- und Physikprofessor Franz Schmied, den wir freilich immer nur "Spieß" nannten. Er hatte tatsächlich einen militärischen Tonfall und konnte brüllen wie ein Unteroffizier. Oft hatte ich Angst vor ihm, vor allem, weil ich schlecht in Mathematik war und vieles nicht begriff. Immer wieder hatte er uns klargemacht, bei der Matura werde es keinen Pardon geben. Ich hatte tatsächlich bei der schriftlichen Mathematikmatura ein Nicht genügend und bekam daher Mathematik als zusätzliches Fach für meine mündliche Matura, für die ich meine Lieblingsfächer Deutsch, Englisch und Musik gewählt hatte. Mündliche Mathematikmatura - das war wie ein Kampf ums Überleben; oder zumindest gegen die für mich unerträgliche Schande, die Matura nicht zu bestehen. Schon als mir die Aufgabe gestellt wurde, merkte ich: Der Spieß hat mir etwas zugedacht, was ich kann. Und wie er mir die Zwischenfragen stellte, spürte ich: Der führt mich, der hilft mir; der will, dass ich es schaffe. Die Erfahrung, dass dich jemand totbeißen könnte, aber er tut es nicht, sondern er hilft dir - das kann ich nicht vergessen. Ausgerechnet der Spieß! Und bei der Maturafeier war uns dann allen klar: Der Spieß wollte jeden gut durch die Matura bringen, und das ist ihm gelungen. Und auch mit seiner gefürchteten eisernen Strenge hatte er eigentlich gewollt, dass jeder es schafft.

Bei einem unserer Maturatreffen ist der Spieß, nein, Franz Schmied dann aufgetaucht. Er war über 90, aber es war ihm wichtig, dass wir ihn duzten. Ich habe mich bei ihm für die Matura bedankt. "Unterbrochene Schulstunde" heißt eine Erzählung von Hermann Hesse. Manchmal denke ich, das ganze Leben ist eine unterbrochene Schulstunde.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler