Le week-end

Coleman Hawkins trifft Girolamo Frescobaldi

Mit Elke Tschaikner und Christian Scheib. Stilbildung heißt die heutige Ausgabe von le week-end, weil sowohl Coleman Hawkins als auch Girolamo Frescobaldi vielleicht nicht zur Liga der Allerbekanntesten zählen, ohne sie aber die Musikgeschichte anders verlaufen wäre.

Heute in le week-end: Ein Gipfeltreffen zweier, die stilbildend musizierten. Coleman Hawkins, Tenorsaxophon, und Girolamo Frescobaldi, Tasteninstrumente. Der Organist Fabio Bonizzoni hat das zweite Toccatenbuch von Girolamo Frescobaldi mitgenommen in die Basilica Santa Barbara in Mantua, wo eine wunderbare historische und deswegen eben so gar nicht wohltemperierte Orgel aus dem Jahr 1565 diese Musik schweben und schwingen lässt. Die Kategorie Sound ist es auch, die den Tenorsaxofonisten Coleman Hawkins zum nachhaltigen Jazzstilbildner machte. Vital plus kraftvoll plus sonor ist gleich Hawkins. Jazzkollege Billy Taylor formuliert es so: "Man hatte entweder einen größeren oder einen kleineren Ton als er. Nun, einen größeren konnte keiner haben, glaube ich. Daher sollte ich richtiger sagen, man hatte mit mehr oder weniger Erfolg einen kleineren Ton als er."

Ein Triptychon folgt im heutigen le week-end der stilbildenden Kräfte: Girolamo Frescobaldi eröffnet präludierend das musikalische Feld mit einer mäandernden Toccata. Coleman Hawkins bittet zu seiner vielleicht überragendsten Zeit Anfang der 40er Jahre den jungen Bassisten Oscar Pettiford in sein Quintett und man schwärmte gemeinsam von The Man I Love. Dann aber tritt Girolamo Frescobaldi wieder auf, allerdings in einer die Jahrhunderte verschiebenden Verkleidung: György Ligeti nämlich verbeugt sich vor dem stilbildenden Tastenwerk des Italieners mit einer Musica Ricercata für Frescobaldi.

Stilbildung heißt die heutige Ausgabe von le week-end, weil sowohl Coleman Hawkins als auch Girolamo Frescobaldi vielleicht nicht zur Liga der Allerbekanntesten zählen, ohne sie aber die Musikgeschichte anders verlaufen wäre. Frescobaldi ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein Star, die Konzerte, die er als Orgelvirtuose gibt, sind überfüllt. Er beeindruckt gar nicht so sehr als revolutionärer Neuerer - dazu hätte er im frühbarocken Italien viel mehr Monodiker sein müssen -, denn als genialer Vollender von Experimenten, die Komponisten wie Claudio Merulo mit ihren Toccaten vorgegeben hatten. In Italien gilt Frescobaldi nach seinem ruhmreichen Leben daher ziemlich bald als genialer aber doch Schnee von Gestern. Frescobaldis wirkliche Groupies aber waren junge deutsche Organisten, die nach Rom pilgerten, um ihn spielen zu hören. Und ohne Frescobaldis Toccaten und Riccercare wären nördlich der Alpen niemals die berühmten Präludien und Fugen bis hin zu Johann Sebastian Bach entstanden.

Frescobaldis Musik für solistische Tastenintrumente hat ein beinahe befremdendes Unentschiedenes an sich, eine Weiterschreiten, dem die absolute Notwendigkeit zu fehlen scheint. Oder anders herum gesagt: Frescobaldis Musik scheint in jeder Fortschreitung die Freiheit eingeschrieben zu sein, sich weiterzutasten oder eben auch nicht. Jeder nächste Schritt ist eine Möglichkeit, aber keine Notwendigkeit. Man kann das musikhistorisch aus dem Harmoniesystem heraus begründen, man kann daran erinnern, dass Musik tatsächlich so funktional verwendet wurde und wird, dass man als Musizierender bei passender Gelegenheit einfach ein baldmöglichstes und zugleich möglichst elegantes Ende finden muss. Girolamo Frescobaldi jedenfalls gönnt sich in seinen stilbildenden Toccaten genau diese Freiheit. Und wir auch: In diesem Sinn: Fabio Bonizzoni spielt die "Toccata settima" solange eben noch le week-end Sendezeit zur Verfügung steht.

Sendereihe

Gestaltung

  • Elke Tschaikner
  • Christian Scheib

Playlist

Urheber/Urheberin: Gene Austin
Roy Bergere
Album: A Study In Frustration (The Fletcher Henderson Story) Volume 1
Titel: How come you do me like you do
Ausführender/Ausführende: Fletcher Henderson Orchestra
Länge: 03:05 min
Label: CBS BPG 62001

Komponist/Komponistin: Girolamo Frescobaldi
Titel: Toccatas & Partitas, Second Book
* Toccata ottava (di durezze, e ligature)
Solist/Solistin: Fabio Bonizzoni, organ
Länge: 04:27 min
Label: Glossa GCD 921514

Urheber/Urheberin: Cole Porter
Titel: You'd Be So Nice to Come Home To (00:04:18)
Solist/Solistin: Coleman Hawkins, Tenor Sax
Solist/Solistin: Ben Webster, Tenor Sax
Solist/Solistin: Oscar Peterson, Piano
Solist/Solistin: Herb Ellis, Guitar
Solist/Solistin: Ray Brown, Bass
Solist/Solistin: Alvin Stoller - Drums
Länge: 04:18 min
Label: Verve Records

Komponist/Komponistin: Unbekannt
Titel: Hello, Lola!
Ausführender/Ausführende: Red McKinzie And The Mound City Blue Blowers
Länge: 03:00 min
Label: RCA 741103

Komponist/Komponistin: Girolamo Frescobaldi
Titel: Toccatas & Partitas, Second Book
* Toccata prima
Solist/Solistin: Fabio Bonizzoni, harpsichord
Länge: 03:37 min
Label: Glossa GCD 921514

Komponist/Komponistin: George Gershwin
Komponist/Komponistin: Ira Gershwin
Titel: The Man I Love
Ausführende: Coleman Hawkins and His Quintet
Länge: 04:00 min
Label: Classics - #CLASSICS 807

Komponist/Komponistin: György Ligeti
Titel: Musica Ricercata - Ommagio a Girolamo Frescobaldi
Solist/Solistin: Mauricio Nader, piano
Länge: 04:00 min
Label: Master Music

Komponist/Komponistin: Coleman Hawkins/1904 - 1969
Titel: Picasso/instr.
Solist/Solistin: Coleman Hawkins /Tenorsaxophon
Länge: 03:17 min
Label: Verve 3145216612 (2 CD)

Komponist/Komponistin: Girolamo Frescobaldi
Titel: Secular Madrigals
* Se lontana voi sete
Ausführende: Modo Antiquo
Leitung: Bettina Hoffmann
Länge: 01:54 min
Label: Brilliant Classics 93793

Komponist/Komponistin: Coleman Hawkins
Titel: Night Hawk
Solist/Solistin: Coleman Hawkins
Solist/Solistin: Eddie "Lockjaw" Davis, tenor saxophone
Solist/Solistin: Tommy Flanagan, piano
Solist/Solistin: Ron Carter, bass
Solist/Solistin: Gus Johnson, drums
Länge: 10:30 min
Label: Original Jazz Classics OJC 420

Komponist/Komponistin: Girolamo Frescobaldi
Titel: Toccatas & Partitas, Second Book
* Toccata settima
Solist/Solistin: Fabio Bonizzoni, harpsichord
Länge: 04:33 min
Label: Glossa GCD 921514

Komponist/Komponistin: Girolamo Frescobaldi
Titel: Toccatas & Partitas, Second Book
* Toccata terza (per l'organo da sonarsi alla levatione)
Solist/Solistin: Fabio Bonizzoni, organ
Länge: 07:07 min
Label: Glossa GCD 921514

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