Zwischenruf
Ulrich H. J. Körtner über Ökumene
"Ökumene 2017". Ulrich H. J. Körtner, Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, über die Gemeinschaft der christlichen Kirchen und was sie noch immer trennt. - Gestaltung: Martin Gross
29. Oktober 2017, 06:55
Das Reformationsjubiläum neigt sich dem Ende zu. Die evangelischen Kirchen haben in diesem Jahr ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben, nicht zuletzt durch eine Reihe von großen Events. Höhepunkt war das große Fest vor dem Wiener Rathaus am 30. September. Alle, die dabei waren, haben das Event, das 15.000 Menschen oder mehr angelockt hat, als starke Ermutigung für den evangelischen Glauben empfunden.
Auch in ökumenischer Hinsicht gab es ermutigende Signale. Vertreter der Kirchen werden nicht müde, das Verbindende über das Trennende zu stellen, und auch auf lokaler Ebene hat es starke Zeichen ökumenischer Geschwisterlichkeit gegeben.
Ökumenische Trauerfeier
Aber auch das ist geschehen: Nach 26 Jahren hat sich die Arbeitsgemeinschaft konfessionsverbindender Familien Österreichs aufgelöst. Sie hat sich für die Anliegen konfessionsverschiedener Ehen gegenüber den Kirchenleitungen eingesetzt und an der Vision gearbeitet, dass eines Tages evangelische Ehepartner zu katholischen Messen zugelassen würden. Zuletzt aber fühlte sie sich, wie in der als Partezettel gestalteten Einladung zum Abschiedstreffen stand, "aus der Zeit gefallen". Weiter heißt es: "Die überproportionale Bedeutung des amtskirchlichen Ordnungsdenkens, der Alterungsprozess der Proponenten und das Desinteresse der nachfolgenden Generationen haben ihr Schritt für Schritt die Lebensgrundlage entzogen." Deshalb hat man nun die Arbeitsgemeinschaft in einem Abschieds-, Dank und Mutmachgottesdienst am vergangenen Donnerstag in Pinkafeld zu Grabe getragen. Wie es heißt: "Nach einem erfüllten Leben, jedoch nicht versehen mit dem Sakrament des gemeinsamen Mahles."
Viele Menschen haben im Reformationsjahr ein deutlicheres Zeichen für ökumenische Fortschritte erwartet als symbolische Aktionen wie den Papstbesuch im schwedischen Lund oder irgendwelche Versöhnungsgottesdienste. Zumindest in der Frage der konfessionsverbindenden Paare hatten viele gehofft, dass sich etwas bewegen werde. Doch von der gemeinsamen Teilnahme an der katholischen Messe ist man immer noch weit entfernt. Die vom 2. Vatikanischen Konzil geprägte und begeisterte Generation ist in die Jahre gekommen oder schon verstorben. Und von Kirchenfunktionären und Berufsökumenikern abgesehen interessiert sich eigentlich noch kaum jemand für die theologischen Lehrunterschiede, wegen denen die evangelischen Kirchen und die römisch-katholische noch immer getrennt sind.
Gegensätze im Kirchenverständnis
Zuletzt hat der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki reichlich Wasser in den ökumenischen Wein gegossen. Zu einer ehrlichen Bilanz der gegenwärtigen ökumenischen Beziehungen gehöre das Eingeständnis, dass in moral- und sozialethischen Fragen zwischen den Kirchen ein zunehmender Dissens bestehe. Dem Einheitsmodell der versöhnten Verschiedenheit macht Woelki den Vorwurf des Etikettenschwindels, und in evangelischen Kirchen beobachte er streckenweise eine tief unordentliche Praxis, von den Differenzen in der Ämterlehre ganz zu schweigen.
Ähnlich, wenngleich etwas diplomatischer, äußert sich auch Kurienkardinal Koch, der im Vatikan für die Ökumene zuständig ist. Nach wie vor gebe es keine gemeinsame Vorstellung vom Ziel der Ökumene. Die Formel von der Einheit in versöhnter Verschiedenheit sei aus katholischer Sicht keine Zustandsbeschreibung, wie prominente Vertreter der evangelischen Kirchen meinen, sondern lediglich eine Zielbestimmung.
Tatsächlich ist der eigentliche Knackpunkt das unterschiedliche Kirchenverständnis. Kardinal Woelki spricht mit wünschenswerter Klarheit aus, dass Martin Luther und mit ihm die Reformation das Verhältnis von Christus und der Kirche grundlegend anders bestimmt haben als es die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen bis heute tun. Nach Luther habe ich ein Verhältnis zur Kirche, weil und insofern ich ein Verhältnis zu Christus habe. Katholisch ist es genau umgekehrt: Die Beziehung zur Kirche ist die Voraussetzung für die Beziehung zu Christus. Solange dieser Unterschied besteht, kann es nach Ansicht Woelkis kein gemeinsames Abendmahl geben.
Als evangelischer Christ bin ich Woelki und Koch dankbar, weil sie klarer sehen also so mancher evangelische Kirchenvertreter. Ohne solche Ehrlichkeit hat die Ökumene keine Zukunft.
Sendereihe
Gestaltung
- Martin Gross