Musikergruppe musiziert

ORF/RAINER ELSTNER

Zeit-Ton

Das Echo der Revolution (Teil 2)

Ägyptens Musiker/innen auf post-revolutionären Pfaden. Gestaltung: Susanna Niedermayr und Rainer Elstner

Seit jeher ist Ägypten ein musikalisches Zentrum der arabischen Welt. Als wir 2010 erstmals nach Kairo reisten, war die brodelnde kreative Energie vielerorts bereits zu spüren. Der sogenannte Arabische Frühling nur wenige Monate später sollte schließlich ein musikalisches Feuerwerk entfachen. Was blieb von der so beflügelnden Aufbruchsstimmung und den vielen damals neu gegründeten Initiativen, nachdem die internationale Aufmerksamkeit nachgelassen hat? In unserer traditionellen dicht gepackten Musikreportage quer durch alle Genres suchen wir nach Brücken, die die reichen Musiktraditionen dieses facettenreichen Landes mit der jungen experimentierfreudigen Independent Szene verbinden.

Die Revolution des Jahres 2011 brachte die Musikszene Ägyptens mit einem Schlag ins internationale Rampenlicht. Westliche Medien machten sich daran, den Sound der Revolution zu finden, einzelne Bands und Sänger wurden binnen kurzer Zeit zu internationalen Stars. Die Ereignisse sorgten aber auch für eine verzerrte Wahrnehmung der aktuellen Musik Ägyptens, hat man uns bei unserem Besuch in Kairo Anfang April zu verstehen gegeben.

"Die 1990er Jahre waren eine sehr karge Zeit, beinahe alle Lokale, die Rock Musik Konzerte veranstalteten, mussten zusperren", erzählt der vielseitige Musiker Maurice Louca, der derzeit u.a. mit dem Trio Lekhfa auf Tour ist. "In den frühen 2000er Jahren lockerte sich die Situation dann langsam auf. Es wurden Labels ins Leben gerufen, einige neue Lokale sperrten auf, Bands wurden gegründet und es gab auch wieder Live-Musik. Natürlich hat die Revolution diese Entwicklung dann beschleunigt, aber sie war nicht der Auslöser, wie oftmals behauptet wird. Natürlich hat sie geholfen, aber es wird ihr zu viel Bedeutung beigemessen. Vieles gab es bereits davor.

Die Antwort auf die Frage nach der spannendsten musikalischen Entwicklung der vergangenen Jahre fiel einhellig aus, das sei Mahraganat, auch bekannt unter der Bezeichnung Electro Shaabi, ein Musikgenre, das vor allem außerhalb Äyptens gerne mit der Revolution in Verbindung gebracht wird. Der Begriff Shaabi umfasst eine Vielzahl an populären ägyptischen Musikformen, deren Wurzeln bis in die vorislamische Zeit zurückreichen. Es ist auch jene Musik, mit der die Menschen in Ägpyten gerne ihre Hochzeiten und die Geburtstage ihrer Heiligen feiern. Rund um 2005 begannen einige junge Männer in den Armenvierteln von Kairo dafür billige Computerprogramme und Keyboards zu verwenden. Über die grelle und wilde Partymusik rappt in der Regel ein MC.

Im Zuge der Revolution 2011 sahen viele in Mahraganat plötzlich die Musik einer neuen Ära. Zahlreiche Unternehmen suchten - von den Ereignissen auf dem Tahrir Platz beflügelt - nach einem neuen Sound für ein neues Image. Aber nicht nur Mahraganat, sondern auch die Indie Rock- und Pop-Szene Ägyptens erlebte durch die Revolution und die geballte internationale Aufmerksamkeit einen Aufschwung und trieb dabei so manch seltsame Blüte. "Natürlich wurde die Revolution auch bald zur Marke", so Louca. "Da gab es all diese Leute, die versuchten, aus der Situation persönliches Kapital zu schlagen. Pop-Musiker, die Lieder über die Revolution sangen behaupteten, sie seien Underground, einfach nur deshalb, weil das gerade hip war. Das dauert noch immer an. Es gibt Bands die Werbung für Coca Cola machen und sich als Underground und revolutionär bezeichnen."

Während man mit Mahraganat oder Indie Rock heute mitunter gutes Geld verdienen kann, schaut die Situation in der zeitgenössischen Klassik karg aus. "Die Lage ist sehr schwierig in Ägypten", berichtet Komponist Ahmed Madkour. "Es gibt die Cairo Contemporary Music Days von Sherif El Razzaz und das ist halt nur einmal im Jahr. Das ist nicht viel. Das Cairo Symphony Orchestra fragt alle ein, zwei Jahre nach einem neuen Stück. Aber es muss dann für sie spielbar sein, darf also nicht zu kompliziert sein. Wir sind also eine aussterbende Art". Es sei sehr schwierig in Ägypten, ein Komponist zu sein und noch schwieriger, ein zeitgenössischer Komponist zu sein.

Eine Neugründung aus dem Jahr 2011 - allerdings auch mit längerer Vorgeschichte - sind die Cairo Contemporary Music Days. "Ich erinnere mich noch gut an die erste Ausgabe der Cairo Contemporary Music Days", so Komponist Bahaa El-Ansary. "Das war nur drei, vier Monate, nachdem ich überhaupt von zeitgenössischer Musik erfahren habe. Und dann habe ich diese Art von Musik hier gleich live gehört. Das war eigentlich mein Start als Komponist und es hat mir sehr geholfen."

Das Festival für zeitgenössische Musik ist das einzige seiner Art in Ägypten. Sherif El Razzaz hat dieses Festival gegründet. Er war Klarinettist beim Ensemble Modern und ist mittlerweile deutscher Staatsbürger. Jetzt bringt er seine Erfahrungen nach Ägypten zurück. Mittlerweile steht das Festival organisatorisch auf festen Beinen, unterstützt sowohl vom Kulturministerium als auch von internationalen Institutionen vor Ort.

Service

Zuli
Zuli, The Magma
Khaled Kaddal
Lekhfa bei Mostakell Records
Maurice Louca
The Dwarfs of East Agouza
Karkhana
Nadah El Shazly
1127
Tarkamt
Jacqueline George
Ola Saad
Vent
Hizz Collective
Di-Egy Fest
Eka3, Mostakell, Ma3azef
Noise Scene
Anba
Nashazphone
100Copies
Cairo Contemporary Music Days
Bahaa El Ansary
Ahmed Madkour
Ahram Online - Ati Metwaly
Nahla Mattar
artsy - Hassan Khan
GoFundMe - Crowdfunding für Komponist Bahaa el Ansary und sein Studium in London

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Bahaa El Ansary
Titel: 25th January
Ausführende: Neam Tarek - Harp
Ausführende: Samuel Santana - Violin
Ausführende: Simon Petek - Violin
Ausführende: Antonina Goncharenko - Viola
Ausführende: Gustavo Rodriguez - Cello
Länge: 00:43 min
Label: Manus

Komponist/Komponistin: Khaled Kaddal
Titel: code 03
Ausführende: Khaled Kaddal
Länge: 00:41 min
Label: Manus

Komponist/Komponistin: Ahmed Madkour
Titel: Kam II
Ausführende: Kamilya Jubran
Länge: 01:33 min
Label: Manus

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