Leporello
Himmel und Hölle in Bukarest
Der Fotograf Dani Gherca
5. Juli 2018, 07:52
Zu kommunistischen Zeiten war der 1975 fertiggestellte Block ALMO 2 das höchste Wohngebäude Bukarests, und in seinem Erdgeschoß befand sich das damals größte Einkaufszentrum der Stadt.
Wir begleiten den 1988 geborenen Bukarester Fotografen Dani Gherca auf das riesige Flachdach über dem 16. Geschoß des emblematischen Prestigebaus der Ära Ceausescu. Denn von hier oben lässt sie sich gut überblicken: die kapitalistische und die kommunistische Moderne in Bukarest. Im Süden die neuen Hochhäuser der internationalen Konzernzentralen, in einiger Entfernung Ceausescus gigantomanisches "Haus des Volkes" und im Norden die Arbeiterviertel, in denen Dani Gherca aufgewachsen ist, und deren Architektur er immer wieder zum Teil seiner Fotoserien gemacht hat. Steinerne Manifeste einer Ideologie, die versucht hatte, die agrarisch geprägte Gesellschaft Rumäniens im Eiltempo zur modernen Industriegesellschaft zu transformieren.
Noch als Student der Fotografie dokumentierte Daniel Gherca ab 2011 noch eine andere Nachwirkung der Ära Ceausescu, repräsentiert durch einen Obdachlosen namens Florin Hora. Mitte der 1970er Jahre geboren, war Hora eines von abertausenden aus Not oder Verzweiflung weggelegter Kinder, die zunächst in Waisenhäusern landeten und nach dem Zusammenbruch des Regimes freiwillig oder unfreiwillig auf beziehungsweise unter den Straßen - nämlich in den Fernwärmetunneln - Bukarests lebten.
Besser bekannt unter seinem Straßennamen "Bruce Lee" wurde Florin Hora zum Herrn und seiner Überzeugung nach, gottgesandten Hirten dieser unterirdischen Welt, wo die Ausgestoßenen, die Straßenkinder, die Drogensüchtigen und Obdachlosen Schutz suchten und zeitweilig auch fanden.
Vier Jahre lang stieg Dani Gherca immer wieder tageweise in die stickigen Kanäle, in denen sich auf engstem Raum manchmal bis zu hundert Kinder und Erwachsene drängten. Ob er der erste Fotograf war, der das Leben der Menschen im Untergrund dokumentierte, ist sich Gherca nicht sicher. Er war in jedem Fall nicht der letzte. Spätestens 2014, als die britischen Channel 4 News ein Team in die Kanäle unter der Stadt schickte, wurde "Bruce Lee", der schillernde "König der Obdachlosen", auch international zur tragischen Berühmtheit.-
Gestaltung: Roman Tschiedl
Service
Dani Gherca
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