Selbstbildnis, Kopf um 1909

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Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über Egon Schiele

"Schonungsloser Blick auf das Selbst". Anlässlich seines 100. Todestages beleuchtet Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum Wien, die skandalumwitterte Biografie des Ausnahmekünstlers im Wien der Jahrhundertwende - Egon Schiele. Gestaltung: Alexandra Mantler

Wenn ich dieser Tage durch die immer karger werdende Herbstlandschaft spaziere und mir bewusst mache, dass in wenigen Wochen grau und braun überwiegen werden, dann sehe ich ein Bild Egon Schieles vor mir.

Es ist ein nicht allzu großes Ölgemälde aus dem Leopold Museum in Wien und bezaubert mich aufgrund seiner Schlichtheit und Reduktion. "Kleiner Baum im Spätherbst" nennt sich das hochformatige Werk, gemalt vom Provokateur der Wiener Moderne im Jahr 1911. Bestimmt wird das Bild von den Farben weißgrau, braun und olivgrün. Dazwischen blitzen kleine blaue Stellen hervor. Dargestellt ist ein einzelner Baum auf einem Hügel. Die kargen Äste reichen bis an den oberen Bildrand, scheinen das Format buchstäblich zu sprengen. Das Geäst wirkt bewegt, hat eine Ausdrucksstärke, als wäre der dürre Baum beseelt.

Landschaften und einzelne botanische Objekte wie Blumen oder Bäume nehmen im Oeuvre Egon Schieles neben Akten, Selbstdarstellungen und Stadtansichten einen zentralen Platz ein. Zeitlebens hat sich der expressionistische Star der Wiener Moderne mit der ihn umgebenden Natur befasst. So entstanden die berühmten Sonnenblumenbilder oder auch Gemälde wie "Die versinkende Sonne" oder "Vier Bäume".

Egon Schieles "Kleiner Baum im Spätherbst" interessiert mich, weil hier nichts Überflüssiges dargestellt ist. Jeder Farbfleck ist auf dieser nahezu abstrakten Komposition am richtigen Ort. Die Darstellung der Natur verschmilzt hier mit der Gefühlswelt des Künstlers. Besonders überzeugend: Die existentielle Auseinandersetzung Egon Schieles mit den wesentlichen Fragen des Lebens ist in jedem kleinen Pinselstrich zu spüren. Der ausdrucksstark sich krümmende Baum spiegelt die Freude angesichts der Schönheit und Vitalität der Natur, aber auch die ständige Bedrohung ob der Vergänglichkeit des Daseins.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Sergej Rachmaninoff
Album: RACHMANINOFF: ASHKENAZY - Klavier (CD-3)
Titel: Etude Tableau op.33 Nr.2 in C-Dur
Gesamttitel: 8 Etudes Tableaux op.33 für Klavier
Solist/Solistin: Vladimir Ashkenazy /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: London 4552342 (6-CD Box)

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