Medizin und Gesundheit

Unnötige Infektionen mit gefährlichen Krankenhauskeimen

Tot statt gesund


Tot statt gesund
"Pro Jahr sterben in Österreich rund 4.500 Menschen an den Folgen einer Infektion, die sie sich während eines Krankenhausaufenthaltes zugezogen haben", so Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH).
Zum Vergleich: 2017 kamen im Straßenverkehr 413 Personen ums Leben und eine Infektion im Krankenhaus ist in vielen Fällen vermeidbar.
Und stellen Sie sich vor: Das kümmert von den dafür Verantwortlichen (fast) niemanden .
Gäbe es plötzlich so viele verunglückte Menschen auf den Straßen oder durch Arbeitsunfälle in den Betrieben - da wäre aber Feuer am Dach.

EU weites Problem
Europaweit erkranken ca. 4 Millionen Personen an einem Infektionserreger, mit dem sie sich in einer Gesundheitseinrichtung (nosokomiale Infektion) im Rahmen von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen angesteckt haben. Etwa 37.000 Todesfälle sind direkt darauf zurückzuführen und es entstehen ?ca. 16 Millionen zusätzliche Krankenhausverweiltage.
In Österreich erleiden im Schnitt fünf Prozent der im Spital aufgenommenen Patienten pro Jahr eine nosokomiale Infektion, also jeder 20ste. 4,5 bis 5 Prozent von diesen Patienten versterben daran und ein nicht abschätzbarer Anteil lebt mit bleibenden Schäden weiter.

Schwere Erkrankungsbilder
Besonders gefährdet sich im Krankenhaus zu infizieren sind ältere Menschen und Schwerkranke. Ebenso alle Patienten, bei denen das körpereigene Abwehrsystem gewollt (Organtransplantation, Autoimmunerkrankung) oder ungewollt (Leukämie, Aids, Chemotherapie) unterdrückt wird.
Die Top 5 der nosokomialen Infekte sind: Harnweginfekte (40 Prozent), postoperative Wundinfektionen (25 Prozent), Infektionen der unteren Atemwege (15 Prozent) gefolgt von Gefäßkatheter-assoziierten Infektionen (8 Prozent) und Sepsis (7 Prozent).

Wäre so nicht nötig
"Mindestens dreißig Prozent der Infektionen ließen sich durch relativ einfache, allgemein bekannte Hygienemaßnahmen verhindern", so Ojan Assadian. "Dies wurde bereits 1974 von den Autoren der SCENIC-Studie festgestellt. Das Ziel muss sein erprobte Maßnahmen sicher in die Krankenhausabläufe einzubauen."
Das Risiko für ein Individuum innerhalb eines Jahres zu sterben:
durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1:400
durch Zigarettenrauchen 1:500
durch nosokomiale Infektion 1:600
durch Krebs 1:900.
durch Unfälle aller Art 1:4.000

Schwer zu glauben
"Über die Haftungsfrage wird in Österreich kaum diskutiert", so Dr.in Maria Kletecka-Pulker, Juristin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin. "Viele Betroffene sehen Krankenhausinfektionen immer noch als schicksalhaftes Geschehen an. Ob alle hygienischen Standards tatsächlich eingehalten wurden und die Infektion vermeidbar gewesen wäre, lässt sich im Einzelfall schwer nachweisen."
Die derzeitige Praxis ist folgende: Die Entschädigungen werden nicht von den Versicherungen des Krankenhauses geleistet, sondern die Betroffenen erhalten das Geld aus dem sogenannten Patientenentschädigungsfond.
Und jetzt wird es absurd: In diesen Fond zahlt der Patient selber ein - ? 0,73 pro Tag in einer Krankenanstalt (auf 28 Tage begrenzt). Im Klartext: Den Schaden, den sie in der Krankenanstalt erleiden, zahlen sie sich selber.
Die Juristin Maria Kletecka-Pulker: "Daher fordern die österreichischen Patientenanwälte, dass dieser Fond solidarisch finanziert wird und daher auch die Krankenanstaltenträger und die Sozialversicherungsträger einzahlen."

Gesetzeslage dürftig
Außerdem fehlen weitgehend bindende, gesetzliche Regelungen zu den Hygienestandards in Krankenhäusern. Derzeit gibt es einen Qualitätsstandard zur Organisation und Strategie der Krankenhaushygiene, der zur Verbesserung der Situation führen soll.
Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen obliegt in letzter Konsequenz den einzelnen Gesundheitseinrichtungen.

Mehr Transparenz
Die Juristin Maria Kletecka-Pulker: "Ein möglicher Ansatz wäre auch, die Infektionsraten von einzelnen Krankenanstalten zur veröffentlichen. Man könnte dann im Vorfeld der Operation überlegen, welchem Risiko man sich z.B. bei der Implantation einer Hüftprothese aussetzen will. Allerdings stößt man auch hier auf das Problem der Nachweisbarkeit und Vergleichbarkeit, sodass die meisten Experten von einer Veröffentlichung in diesem Zusammenhang abraten. Letztlich würde dies zu einer großen Verunsicherung führen."
Tatsache ist derzeit: Jene Krankenhäuser, die nicht "sauber" arbeiten, werden genaugenommen belohnt. Denn nach einer nosokomialen Infektion innerhalb der Einrichtung, erhalten sie für die Therapie der von dieser "kleinen Komplikation" Betroffenen Geld aus dem Gesundheitssystem.

Vision 2040 - keine vermeidbaren Todesfälle mehr im Krankenhaus
Maria Kletecka-Pulker: "Es braucht Anreizmechanismen, um jene Institutionen und Personen zu unterstützten und zu belohnen, die alles daransetzen, um Patienten vor Schaden und Leid durch nosokomiale Infektionen zu schützen."

Text: Christoph Leprich

Service

Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene ÖGKH
Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie
Gersthofer Straße 20
1180 Wien
Tel.: +43 1 908 11 46 - 42
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Dr.in Maria Kletecka-Pulker
Juristin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Gründungsmitglied der Plattform Patientensicherheit
Universität Wien
Spitalgasse 2-4/Hof 2
1090 Wien
Tel.: +43 01 4277 22202
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Dr.in Agnes Wechsler-Fördös
langjährige ärztliche Leiterin des Hygieneteams der Krankenanstalt Rudolfstiftung, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) sowie der Österreichischen Gesellschaft für Antimikrobielle Chemotherapie (ÖGACH)

AURES Antibiotika-Resistenzbericht des Bundesministeriums für Gesundheit
Antiinfektiva-Leitlinie der Plattform Arznei& Vernunft
Initiative Sicherheit im OP
Plattform Patientensicherheit
Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenz
Krankenhausinfektionen - Was Patientinnen und Patienten tun können
Die wichtigsten Infektionspräventionsstrategien in Einrichtungen des Gesundheitswesens
Nosokomiale Infektionen
Letales Risiko durch nosokomiale Infektionen

Heinz-Wilhelm Esser, "Kittel, Keime, Katastrophen: Wie Sie einen Krankenhausaufenthalt überleben", Becker Joest Volk Verlag, Hilden 2018

Ivonne Tomsic, "Antibiotikaresistenz als globale Bedrohung. Global Health Akteure und ihre Strategien gegen die Resistenzproblematik", Diplomica Verlag, Hamburg 2018

Arnd Goppelsröder / Dorothea Mischler / Georg-Christian Zinn, "Nosokomiale Infektionen in der Pflege: Basiswissen und Vorgehen bei Ausbrüchen", Mensch und Medien, Vilgertshofen 2011

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