Radiokolleg - Die Kunst des Schlafens
Eine produktive Zeitverschwendung (3). Gestaltung: Nikolaus Scholz
5. Dezember 2018, 09:05
Wir Menschen verbringen durchschnittlich ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen. Schenkt man den Hochrechnungen auf Basis vorhandener Quellen Glauben, so haben die Menschen um 1950 noch durchschnittlich 8 Stunden geschlafen und um 1900 unvorstellbare 10 Stunden, wobei manch ein Bauer mitten in der Nacht aufstand, um nach dem Vieh zu sehen.
Auch die Arbeiterfamilien in ihren kleinen, gemeinschaftlich belegten Untermietkammern haben nicht immer durchgeschlafen. Die Zahlen deuten vor allem darauf, dass auch der Schlaf eine Geschichte hat. Nicht nur die Art, wie wir schlafen, hat sich verändert, sondern auch die Art, wie wir über den Schlaf nachdenken.
Wie wir schlafen, mit wem wir den Schlafplatz teilen und wo wir schlafen, ist abhängig von Kultur und Gewohnheit und Teil der Traditionen, die von Generation zu Generation weiter-gegeben werden. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte schliefen Babys und Kinder in der Regel bei ihren Müttern. Noch im Mittelalter teilten sich Großfamilien mitsamt Gesinde meist einen einzigen Raum, in dem sie auch schliefen. Mit der Industrialisierung wurde dann der Schlaf zum ökonomischen Faktor.
Während sich die Industriellen einen erholsamen Schlaf leisten konnten, mussten die Arbeiter im Schichtbetrieb schlafen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geriet der Schlaf in den Fokus der Wissenschaft, die die neurologischen und biochemischen Prozesse ins Zentrum ihres Interesses rückten. Grundlage dieser Forschung war die Elektroenzephalographie - das heißt das Messen von Gehirnströmen mittels Elektroden. 1953 publizierten Forscher der Universität Chicago ihre Entdeckung der sogenannten REMPhasen, in denen sich die Augen schnell bewegen (Rapid-Eye-Movement), der Muskeltonus sinkt, während Blutdruck und Puls steigen - und wir träumen.
Heute ist der Schlaf zwar eine zentrale Ressource für den gestressten Menschen, macht sich unter Stress aber gleichzeitig rar, da der Körper unter konstant erhöhter Belastung das Stresshormon Cortisol ausschüttet, das abbauende Stoffwechselvorgänge aktiviert und so dem Körper energiereiche Verbindungen zur Verfügung stellt - ein kaum zu unterbindender Teufelskreis.
Service
LITERATUR:
Matthew Fuller, How to sleep (Verlag Bloomsbury Academic)
Schlaf. eine produktive Zeitverschwendung (Ausstellungskatalog Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen)
Sophie de Sivry und Philippe Meyer, Die Kunst des Schlafes (Verlag Christian Brandstätter)
Jürgen Zulley, Schlafkunde: Wissenswertes rund um unseren Schlaf (Mabuse Verlag)
Jürgen Zulley, Mein Buch vom guten Schlaf: Endlich wieder richtig schlafen (Goldmann Verlag)
Jürgen Zulley, Möge der Schlaf mit dir sein (Der Konterfei)
Hannah Ahlheim, Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert: Wissen, Optimierungsphantasien und Widerständigkeit (Wallstein Verlag)
Sonja Kinzler, Das Joch des Schlafs (Böhlau Verlag)
Brigitte Steger, Wie die Japaner schlafen und was wir von ihnen lernen können (Rowohlt Taschenbuch Verlag)
Jonathan Crary, 24/7. Schlaflos im Spätkapitalismus (Verlag Wagenbach)
Brigitte Holzinger & Gerhard Klösch, Schlafcoaching, Wer wach sein will, muss schlafen (Goldeggverlag)
LINKS:
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