Zwischenruf

Franz Küberl über Eigen- und Nächstenliebe

"Sich selbst mögen" von Franz Küberl, ehemaliger Präsident der Caritas Österreich und Direktor der Caritas der katholischen Kirche Steiermark. - Gestaltung: Martin Gross

Seit Jahren gibt es nach Weihnachten eine Meldung mit Bild in vielen Zeitungen und Fernsehnachrichten: Am Tag nach dem Stephanitag hat ein Mediamarkt eine Menge an Verkaufsangeboten für seine Produkte enorm verbilligt. Dann sieht man bereits weit vor der Öffnungszeit eine Menge an Menschen vor dem Eingangstor drängen. Wenn dann - eh früher als sonst - die Rollbalken aufgezogen werden, dann stürmen die Leute das Geschäft, um ja billigste Happen zu erjagen. Anschließend zeigen sie sich glücklich mit ihrer Beute.

Gäbe es ein eindeutigeres Bild von der Ich-AG, die heute üblich ist? Durch das eigene Verhalten klar ausdrücken, dass ich das Wichtigste bin. Dass es ausreicht, wenn ich mich selber mag? Notfalls auch unter Ellbogeneinsatz?

Meine Lebenserfahrung in der Caritas hat mir auch das glatte Gegenteil vor Augen geführt. Menschen, die sich selber nicht mögen. Weil sie gekränkt sind. Unter Einsamkeit leiden. Es gibt Menschen, die keine Wertschätzung erhalten, weil sie zu arm, zu arbeitslos, zu kommunikationsunfähig sind. Nicht konsumieren können, sich keinen Urlaub erlauben dürfen. Sich schämen, weil sie in einer Notlage sind.

Natürlich gibt es auch Menschen, die nichts wissen wollen, weder über sich noch über andere. Das Nicht wissen wollen - Claudio Magris hat diesen Begriff geprägt, hat zu entsetzlichen Katastrophen der Menschheit geführt.

Gerade um dieser Menschen willen erinnere ich an Weihnachten. Weil zu Weihnachten die Liebe Gottes zu den Menschen mit dem Füllhorn ausgeschüttet wird. Noch bevor wir selbst etwas getan haben. Diese Liebe zu mir hat Konsequenzen. Sie hat mit Nächstenliebe zu tun, sie hat aber auch damit, dass ich, wie es in den Evangelien heißt, mich selbst lieben können soll.

Selbstachtung kann man aufbauen. Vielleicht geht das ganz leise. Zu überreißen, dass Gott mich mag. (Übrigens, meinen Nachbarn auch.). Dass in jedem von uns ein göttlicher Funke leuchtet, der dies unterstreicht. Allerdings, in vielen Situationen werden Menschen lernen müssen, dass sie sich selber mögen dürfen. Auch Obdachlose, Pflegebedürftige, Flüchtlinge, Mindestsicherungsbeziehende. Die Lehrer dieser Liebe zu sich selbst: immer Menschen, die eben auch jene mögen, denen es schlecht geht. Auch der Staat kann Lehrer des sich selber mögen Könnens sein. Wenn er - mit Ressourceneinsatz und Respekt vor Hilfebedürftigen - ermöglicht, dass diese Menschen aufrecht in die Zukunft gehen können. (Die sogenannte Goldene Regel - "Behandle andere so, wie Du von ihnen behandelt werden willst" wird auch Agnostikern und Atheisten helfen, den Nächsten zu erkennen. Also Wechselseitigkeit im Sozialverhalten,) weil wir ja nicht alleine leben können, immer auch den anderen Menschen brauchen.

Die Nächstenliebe wird uns dabei helfen: Die unabdingbare Voraussetzung, dass ich andere wirksam wertschätzen, respektieren, ihnen beistehen kann, wird sein, dass ich mich selber mag. Dann kann man auch in die Meisterklasse der Nächstenliebe, den Altruismus aufsteigen. Also in Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise ausüben. Wenn wir also wollen, dass das Liebesleben der Kirchen, das Liebesleben der Gesellschaft besser wird, brauchen wir die Wasserwaage der WIR-AG: gut ausmessen, wie viel Zugewandtheit zu Gott, zu den Nächsten, aber auch zu mir selbst notwendig ist. Übrigens: Ein Körnchen Wahrheit steckt aber auch in der ICH-AG: dass man sich selber mögen darf.

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