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Gedanken für den Tag
Wolfgang Müller-Funk über Karl Jaspers
"Spurensuche des vergangenen Jahrhunderts". Anlässlich des 50. Todestags von Karl Jaspers ruft der Literaturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk Stichworte aus dessen Werk und dem Briefwechsel mit Hannah Arendt in Erinnerung. - Gestaltung: Alexandra Mantler
1. März 2019, 06:56
1960, als die heutige Europäische Union in ihrer damaligen Vorform als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bereits existiert, ist das Projekt Europa Ausdruck eines gemeinsamen proeuropäischen Geistes, der wie Jaspers in der Rückkehr des Nationalstaatsgedankens "das Unheil der Welt" erblickt. Welch ein Kontrast zum heutigen Rückwärtsgang des europäischen Diskurses, in dem kaum einer sich noch traut, das politische Ziel eines gemeinsamen transnationalen Europas offensiv zu proklamieren, wie es Karl Jaspers in seiner Schrift "Freiheit und Wiedervereinigung" tut:
"Nicht Rückkehr vom Nationalstaat zum Weltbürgertum, sondern Fortgang zur Verwirklichung der Freiheit im Gesamtleben konföderierter Staaten ist die Aufgabe. Denn nur innerlich freie Staaten können in wirklichem Frieden miteinander leben und einer schließlich den Erdball umfassenden Konföderation (.) den Weg bereiten."
Bereits 1946 beschwört Jaspers einen neuen, weil gemeinsamen europäischen Geist, dessen Fundament er in Freiheit, Geschichte und Wissenschaft sieht. Jaspers versucht hier bereits, den Eurozentrismus ein Stückweit zu überwinden, wenn er Europa ähnlich wie Paul Valéry als eine "kleine Halbinsel" des "Euroasiatischen Kontinents" bezeichnet, als eine, wie wir heute vielleicht sagen würden, globale Mittelmacht.
Machtpolitisch ist Europa, so die Diagnose Jaspers, klein geworden. Aber mit Blick auf sein geistiges Erbe könnte Europa sich zu einer sanften und nachhaltigen Kraft im globalen Raum aufwerfen, freilich nur dann, wenn es jenen Nationalismus, der es zerstört und marginalisiert, endgültig überwindet und jene Freiheit erhält, die es von außen besehen so anziehend macht:
Das klein gewordene, zwischen größeren Mächten gelegene Europa kann seine Marginalisierung nur überwinden, wenn es sich als demokratische Föderation konstituiert und dabei als neutrale Macht in den "politisch-militärischen Wettkämpfen" agiert - ein Drehbuch für die Europäische Union anno 2019.
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Sergej Rachmaninoff/1873 - 1943
Album: LEONARD BERNSTEIN: THE ENCORE COLLECTION, AN A - Z TREASURY OF CONCERT FAVORITES / Volume 3
Titel: Rhapsodie über ein Thema von Niccolo Paganini für Klavier und Orchester op.43 / daraus : Variation 18
Orchester: New York Philharmonic
Leitung: Leonard Bernstein
Solist/Solistin: Gary Graffman /Klavier
Länge: 02:48 min
Label: CBS MK 44725